Die Kaempferin
schaute zu dem Jungen, der den Griff um das Bein seiner Mutter verstärkte und zurückwich, um sich hinter ihrem Körper zu verstecken. »Und wer ist das?«
Westens Gemahlin zerzauste dem Jungen das Haar. »Wir haben ihn Ash genannt«, sagte sie. Ich zuckte zusammen. Es war mein Name – der Name, den ich am Siel aufgegeben hatte, um Varis zu werden. Sie schien es nicht zu bemerken und fügte hinzu: »Und ich bin Nadeen.«
Hinter mir spürte ich, wie Keven vortrat. »Regentin, die Schiffe sind so weit.«
Ich blickte Nadeen in die Augen und erkannte darin die stumme Frage, die auszusprechen sie sich nicht überwinden konnte.
»Es geht ihm gut«, sagte ich. »Und ich sorge dafür, dass er das hier bekommt. Ich werde es ihm persönlich übergeben.«
Zuerst wusste sie offenbar nicht, was sie erwidern sollte. Die Angst und die Sorge, die sie bisher unterdrückt hatte, brachen nun hervor. Schließlich ergriff sie Ashs Hand und sagte: »Passt auf ihn auf.« Damit trat sie zurück, hob Ash in ihre Arme und verschwand wieder in der Menge.
»Ich hatte keine Ahnung …«, sagte Eryn nach einem langen Atemzug.
»Er hält es gut verborgen.«
»Regentin«, meldete Keven sich erneut zu Wort.
»Ich weiß«, gab ich barsch zurück. Überall entlang der Docks wurden nun die Leinen gelöst. Eines der Chorl-Schiffe trieb bereits vom Kai weg in den offenen Hafen. »Gehen wir.«
Catrell brüllte einen Befehl, woraufhin sich die letzten Gardisten in zwei Gruppen aufteilten. Catrell steuerte auf die Kriegsbeute zu, während Keven ungeduldig hinter mir ausharrte. Weiter unten sah ich, wie Tristan seine letzten Männer auf die Verlässlich winkte. Brandan stand daneben und jagte Tristan finstere Blicke in den Rücken.
»Gute Reise«, sagte Eryn, als ich mich zurückdrehte.
Dann führten Keven und die Eskorte mich an Bord der Trotzig .
Eine halbe Stunde später segelte ich zwischen den Wachtürmen des Hafens hindurch.
Und hinaus aus Amenkor.
Zweiter Teil
AUF SEE
S IEBTES K APITEL
D ie Begabten der Chorl haben ihre Strategie geändert«, sagte Liviann. »Sie versuchen nun von sich aus, nicht nur uns auf dem Schlachtfeld zu töten, sondern auch unsere eigenen Begabten.« Sie warf mir einen hitzigen Blick zu – mir und meinem Bein, das steif und geschient vor mir ausgestreckt auf einem Hocker lag. Es pochte immer noch heftig, obwohl es Wochen zurücklag, dass es unter meinem sterbenden Pferd eingeklemmt worden war. Manche Tage waren schmerzvoller als andere.
So wie der heutige.
Wir saßen in dem weitläufigen runden Raum, der »Ratskammer der Sieben« genannt wurde. Die gänzlich aus schwarzem Stein gebaute Kammer, deren Obsidianboden auf Hochglanz poliert war, maß über fünfzig Schritte im Durchmesser. Sieben Pfeiler ragten zu den Rändern der hohen Kuppeldecke empor. Zwischen den Stützen befanden sich rundliche Nischen. In jeder schimmerte Licht – ein übernatürliches, reinweißes Licht, das Werk von Garus und Seth –, und im Augenblick schien es weder einen Eingang noch einen Ausgang zu geben. Der Raum war gegen die Außenwelt versiegelt worden.
In der Mitte bildeten sieben einander zugewandte Sitze einen großen Kreis. Jeder Sitz war anders, da er die Persönlichkeit eines der Sieben darstellte – ein solider Eichenstuhl mit Armstützen für mich selbst; ein gewölbter, gepolsterter Hocker ohne Armstützen und Rückenlehne für Silicia, damit sie sich ausstrecken konnte; ein schlichter Sitz für Garus, ohne Armstützen, aber mit niedriger Rückenlehne.
Liviann saß auf einem starren Stuhl aus Eschenholz mit einer hohen Rückenlehne und ohne Armstützen, der beinahe wie ein Thron anmutete. Die Falten ihres Kleides verstärkten diesen Eindruck.
»Rymerun war eine Falle«, sagte ich. »Ein Hinterhalt. Sie haben uns überrascht. Das wird ihnen kein zweites Mal gelingen.«
Liviann überging meine Äußerung. »Du hättest nicht alleine angreifen dürfen. Die Sieben sind zu wichtig für das Überleben der Küste von Frigea, vor allem jetzt, da die Bedrohung durch die Chorl allgegenwärtig ist.«
»Genug jetzt«, stieß Garus hervor. Er erhob sich von seinem Sitz und schritt unruhig auf und ab. »Das haben wir jetzt schon hundert Mal gehört, Liviann.«
»Ja«, pflichtete Alleryn ihm bei. »Es wird allmählich ermüdend.«
»Ermüdend!«
Kurz schien es so, als würde Liviann sich in einer Schimpfkanonade ergehen, und ich rückte mit einem leisen Fluch mein Bein zurecht. Doch zu meinem Erstaunen beruhigte sich
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