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Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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Kopf schüttelte. Ich verstand nicht, was die Geste bedeuten sollte, und spielte mit dem Gedanken, meinen Geist zu entsenden, um ihn zu fragen, erkannte jedoch, dass das unmöglich war: Wenn ich es tat, würde ich auf dem Dock zusammenbrechen, was mehr Aufmerksamkeit erregen würde, als Avrell oder mir lieb war.
    Also begnügte ich mich damit, zu warten, und versuchte, nicht unruhig zu zappeln wie Gwenn und nicht zu William zu schauen, obwohl ich seine Blicke mehr als einmal auf mir spürte. Ich fragte mich, was Keven zu ihm gesagt haben mochte. Die beiden Chorl-Schiffe blieben im Hafen und legten nicht am Dock an, aber es wurde ein kleines Boot losgeschickt, mit dem einige Gardisten zu uns herüberfuhren, darunter Hauptmann Catrell.
    Dann traf Tristan mit Brandan Vard im Schlepptau ein, und ich spürte, wie die Spannung im Fluss anstieg. Brandans Aufmerksamkeit galt allein Justaen. Mich schaute er kein einziges Mal an.
    Tristan blieb dicht bei Brandan, genau wie Avrell bei mir. Seine Gegenwart war spürbar – stumm, aber wachsam wie ein Hüter.
    Herrscher Justaen führte die Gruppe hinauf durch die Tore der Außenmauer und in die Festung. Sie bestand aus rauem Granit und war etwa halb so groß wie der Palast von Amenkor. Seltsamerweise kam er mir irgendwie vertraut vor, bis mir klar wurde, weshalb: So war der Palast in Amenkor einst gewesen. Ich hatte diesen Granit unter den Händen gespürt, als ich michin die Mauern eingeschlichen und die Bogenschießscharte gesucht hatte, die zu den inneren Räumlichkeiten führte. Ich hatte seine Körnigkeit gespürt, als ich mich durch Öffnungen gezwängt hatte, um in den Thronsaal zu gelangen. Dieser Stein war für die ursprünglichen Mauern verwendet worden, die in das Palastgebäude eingegangen waren, als Amenkor wuchs. Tatsächlich bestanden alle inneren Räume aus demselben Stein – die Gemächer der Regentin, der Thronsaal, der Turm.
    Temalls Festung wies im Großen und Ganzen eine ähnliche Anordnung auf. Doch als wir einen Raum betraten, den ich für den Thronsaal hielt, erwies er sich stattdessen als große Halle mit Tischen und Bänken für ein Festmahl, dicken Behängen an den Wänden und Bannern, die von den Säulen zu beiden Seiten hingen. Auf dem Podium befand sich statt eines Thrones ein großer Tisch mit Stühlen, die dem Raum zugewandt standen. Justaen führte Avrell, Tristan, Brandan, Bullick, William und mich zum Ehrentisch, während die Gardisten und Begabten auf den in der Halle verteilten Bänken Platz nahmen. Keven, Catrell und Westen setzten sich so nah wie möglich zu mir, wobei Westen zudem Heddan und Gwenn im Auge behielt.
    Ich saß Justaen gegenüber zwischen Avrell, Tristan und Brandan und fühlte mich verloren, überwältigt und eingeschüchtert. Ich hatte noch nie in einem so großen Raum inmitten so vieler Leute gegessen. Ich bemerkte, dass meine Hand sich unwillkürlich auf den Dolch gelegt hatte, um dort Beruhigung zu suchen.
    Kaum hatten wir Platz genommen, beugte Avrell sich zu mir und flüsterte: »Esst zuerst. Befragt ihn erst danach wegen der Chorl. Seid vorsichtig mit dem Wein. Ihr seid nicht daran gewöhnt. Und versucht, nicht den Dolch zu berühren. Das ist nicht … höflich.«
    Bevor ich etwas erwidern konnte, läutete Justaen eine große Handglocke auf dem Tisch vor ihm. Schlagartig war der Raum von Bediensteten erfüllt, die große Teller mit Essen und Krügemit Wasser, Bier und Wein trugen. Eine Frau, kaum älter als ich, das Haar hinter dem Kopf zusammengebunden, stellte einen Holzteller vor mir ab. Der Duft von Räucherfleisch und das Aroma von Gewürzen stiegen mir in die Nase. Auf dem Teller türmten sich Brot und Käse. Das Fleisch lag in einer dicken Tunke; dazu gab es Röstgemüse. Nach mehr als einer Woche, in der es vorwiegend trockenen Zwieback auf dem Schiff gegeben hatte, knurrte mir nun der Magen. Ich griff nach einer Scheibe Brot und der Butter, spürte jedoch Avrells Hand auf dem Arm.
    »Wartet«, forderte er mich auf, und sein Blick zuckte zu Justaen.
    Der Herrscher von Temall hatte sein Essen noch nicht angerührt. Niemand in der Halle hatte das. Er wartete, bis alle Gäste bedient und alle Getränke eingeschenkt waren; dann hob er seinen Weinkelch und sprach: »Auf die Gäste aus Venitte und Amenkor.« Anschließend trank er einen Schluck.
    Alle im Raum erhoben die Becher und tranken ebenfalls. Ein Raunen, das Zustimmung sein mochte, sich jedoch überwiegend wie Grunzlaute anhörte, erfüllte die

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