Die Känguru Chroniken
von wem das Zitat auf der ersten Seite, diese einleitenden, weisen Worte stammen?«
»Nö«, sagt das Känguru. »Eigentlich nicht. Ich find das immer so klugscheißermäßig mit vorangestellten Zitaten. Jeder Depp meint ja, wenn er vornweg Oscar Wilde, Brecht oder Kafka zitiert, dann wird’s gleich Literatur, was er da verbricht.«
Es schlägt dann aber trotzdem die erste Seite auf und liest murmelnd: »Robert Redford alias Tom Booker im ›Pferdeflüsterer‹.«
Es schüttelt seufzend den Kopf.
»Ist dir schon aufgefallen, dass der ganze Buchladen nur mit Ratgebern angefüllt ist?«, frage ich. »Es gibt gar keine Romane mehr.«
»Ja!«, sagt das Känguru verärgert. »Und auch keine Comics.«
»Dafür gibt es Ratgeber für alles und jeden«, sage ich und halte willkürlich ein Buch in die Luft. »Hier!« Der Titel lautet: »Hilfe! Ich lebe mit einem vorlauten Känguru zusammen«.
»Ach«, sagt das Känguru. »Ich glaube ja nicht, dass man durch diese Ratgeber was lernen kann.«
»Sag das nicht!«, sage ich. »Als ich noch kleiner war, hab ich mir mal einen Ratgeber gekauft: Über Nacht zum Millionär – Die Börse und der neue Markt , und mein Papa hat mir sein ganzes Erspartes gegeben, weil des war damals die Zeit, wo die Papas dachten: ›Wenn der Junge so gut mit diesen mysteriösen E-Mails umgehen kann, dann ist der ja quasi schon ein Day-trader! Der schickt Briefe in die USA, und das kostet kein Porto. Wahnsinn.‹«
»Und dann?«, fragt das Känguru.
»Innerhalb von nur zwei Monaten – alles weg.«
Das Känguru staunt.
»Telekom, Siemens, Cargolifter«, sage ich.
Das Känguru blinzelt.
»Aber der Ratgeber …«, sagt es. »Ich verstehe nicht, wo der Lerneffekt lag.«
»Na, ich bin zwar nicht über Nacht zum Millionär geworden«, sage ich, »aber ich würde nicht behaupten, dass ich nix gelernt hätte.«
Das Känguru nickt: »Schweinesystem.«
Ich lasse meinen Blick durch den Laden schweifen. Die Regale sind thematisch in fünf Schwerpunktgebiete unterteilt:»Du bist zu hässlich«, »Du bist zu dumm«, »Du bist zu arm«, »Du bist zu schlecht im Bett« und »Du bist generell nicht gut genug«.
Ich nehme einige Bücher in die Hand.
Eine Milliarde halblegale Steuertricks
Wie Sie Ihr komplettes Leben an Formulare verschwenden
können
Das Mobbing-Ich
Der Kampf mit den Kollegen
Mach’s dir einfach
Das Ich-packe-meinen-Kram-in-bunte-Kisten-und-meine-
Probleme-verschwinden-Buch!
Versorge dich nicht, übergebe
Schlank wie nie dank Bulimie. Diättipps für Drittklässlerinnen
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Wann immer Sie wollen. Mit wem Sie wollen. Garantiert!
»Kuck mal hier!« sage ich und halte ein neues Buch in die Luft. »Das ist doch toll!«
Der Ratgeber-Ratgeber
So schreiben Sie einen Ratgeber
Ich drehe das Buch um und lese den Klappentext:
»Wie die vier apokalyptischen Reiter fallen Flexibilisierung, Entfremdung, Sicherheitsverlust und Erfolgsdruck über die Postmoderne her und hinterlassen unter den Trümmernder Traditionen eine zutiefst verunsicherte, orientierungsund ratlose Gesellschaft. Unerreichbare, massenmedial verbreitete Idealbilder von Schönheit, Coolness und Glück machen die Krise des eigenen Selbst zu einem Automatismus. Profitieren auch Sie vom Klima der Angst! Schreiben Sie jetzt einen Ratgeber!«
Ich lege das Buch zur Seite.
»Ich glaube, ich sollte einen Ratgeber schreiben«, sage ich.
»Hä?«, fragt das Känguru verwirrt. » Hilfe! Ich lebe mit einem vorlauten Känguru zusammen gibt’s doch schon.«
»Ach Quatsch. Es wird ausnahmsweise mal nicht um dich gehen«, sage ich. »Ich nenne meinen Ratgeber: ENDLICH ATHEIST! Der einfache Weg, mit dem Glauben Schluss zu machen . Und die Hauptargumentationslinie ist, dass sich ein Katholik nach dem Beichten gerade mal so gut fühlt, wie sich ein Nichtraucher die ganze Zeit fühlt.«
»Ungläubiger«, sagt das Känguru.
»Ja. Mein ich doch.«
»Ach«, sagt das Känguru und winkt ab.
Ohne ein weiteres Wort hüpft es aus dem Buchladen hinaus. Als es weg ist, stecke ich heimlich den Ratgeber über das vorlaute Känguru unter mein T-Shirt. Vielleicht steht ja doch was Nützliches drin.
»Wer seine Unterschrift nicht gegeben hat,
wer kein Bild hinterließ
Wer nicht dabei war, wer nichts gesagt hat
Wie soll der zu fassen sein? Verwisch die Spuren!«
Bertolt Brecht »Aus dem Lesebuch für Städtebewohner«
»Nä. Mach ich nicht«, sagt das Känguru.
»Wieso nicht?«, frage ich verärgert. »Wenn du hier Mitglied
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