Die Känguru Chroniken
wirst, können wir die DVDs umsonst ausleihen.«
Das Känguru schüttelt den Kopf. Seit zwei Stunden sind wir schon in dieser Videothek, weil das Känguru Geburtstag hat und gerne einen Videoabend machen möchte. Es war schon ein Drama, uns auf die Filme zu einigen, und jetzt noch das.
»Ich weigere mich«, sagt das Känguru. »Ich werde nirgends Mitglied. Ich will in keine Kundendatenbank. Ich will nicht, dass der Staat weiß, welche Filme ich kucke.«
Ich blicke auf die DVDs in meiner Hand. »Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle« und »Das Krokodil und sein Nilpferd«.
»Du willst nicht, dass der Staat weiß, dass du Bud-Spencer-Filme kuckst?«, frage ich, und meine Augenbraue zieht sich nach oben.
»Es geht ums Prinzip«, sagt das Känguru. »Ich bin unsichtbar. Ich zahle zum Beispiel auch nie mit Karte.«
»Du gehst ja, soweit ich weiß, sogar noch einen Schritt weiter«, sage ich anerkennend, »und bezahlst überhaupt nie.«
»Ich bin unsichtbar«, sagt das Känguru. »Ich bin nirgends gemeldet, ich sammle keine Meilen, bin nicht im Känguru-VZ und habe auch keinen Amazon-Wunschzettel! Ich bin unsichtbar.«
»Ja, ja«, sage ich. »Unsichtbar. Wenn du mich anrufst, erkenne ich das sofort, weil du der Einzige bist, bei dem ›Rufnummer unterdrückt‹ im Display steht.«
»Leih du doch die Filme über deine Karte aus«, sagt das Känguru.
»Ich muss sie aber bezahlen«, sage ich.
»Das ist es mir wert«, sagt das Känguru. »Tu mir doch den Gefallen, weil ich heute Geburtstag habe.«
»Du hast doch gar nicht wirklich Geburtstag!«, rufe ich. Das Känguru feiert nämlich jedes Jahr an einem anderen, zufällig gewählten Tag Geburtstag, um die Spitzel zu verwirren.
»Das ist gar nicht so sicher«, sagt das Känguru. »Vielleicht habe ich heute wirklich Geburtstag. Ich weiß nämlich selbst nicht mehr, wann ich tatsächlich Geburtstag habe. Das ist die einzige Möglichkeit, sich wirksam zu schützen. Indem man vergisst.«
»Dann muss ich mir ja keine Sorgen machen«, sage ich. »Äh … Worüber haben wir gerade geredet?«
»Du machst dich drüber lustig …«, sagt das Känguru, »… aber nur bis sie dich verhaften. Natürlich nicht, weil du dir zum zehnten Mal ›Die fetten Jahre sind vorbei‹ ausgeliehen hast, sondern weil deine Steuererklärung Unregelmäßigkeiten aufweist. Natürlich nicht, weil du dir das anarchistische Kochbuch bei Amazon bestellt hast – was ja in sichschon eine Hirnrissigkeit sondergleichen darstellt –, sondern weil du illegal Musik herunterlädst.«
»Macht doch jeder«, sage ich.
»Genau!«, sagt das Känguru. »Das ist ja überhaupt der Witz hinter dieser Kombination aus totaler Überwachung und der vorsätzlichen Kriminalisierung ganzer Bevölkerungsschichten durch neue Copyrightgesetze oder Drogenverordnungen oder was auch immer. Natürlich kann und wird man nicht jeden verhaften, der sich ’ne CD brennt. Aber man könnte. Wenn einer nervt …«
»Und warum hamse dich dann noch nicht verhaftet?«, frage ich.
»Weil ich eben keine Spuren hinterlasse«, sagt das Känguru. »Ich bin unsichtbar!«
Ich verdrehe die Augen.
»Aber es ist doch völlig unmöglich, keine Spuren zu hinterlassen«, sage ich.
»Dann hinterlass falsche«, sagt das Känguru. »Das ist noch besser. Immer wenn ich an einer Kasse nach meiner Postleitzahl gefragt werde, kucke ich auf die Uhr und hänge noch ’ne Null dran.«
»Uh-huh!«, sage ich. »Respekt! Da hast du dem System aber was zum drüber Nachdenken gegeben.«
»Ich unterschreibe auch immer mit einem falschen Namen«, sagt das Känguru.
»Und mit welchem?«, frage ich.
»Äh …«, sagt das Känguru. »Öh.«
»Oah! Du Schuft!«, rufe ich.
»Du bist für die Agenten des Kommerzes doch sowieso ein offenes Buch«, sagt das Känguru. »Macht dir das keine Angst?«
Ich überlege.
»Letztens habe ich im Plattenladen ›The revolution will not be televised‹ von Gil Scott-Heron gekauft«, sage ich, »und als ich mich kurz danach bei Amazon eingeloggt habe, hat mir die Seite gesagt ›Dieser Artikel könnte Sie interessieren: The revolution will not be televised‹. Das fand ich schon gruselig.«
»Das finde ich eher noch beruhigend«, sagt das Känguru. »Immerhin wussten sie noch nicht, dass du dir die Platte schon gekauft hattest.«
Ich nicke.
»Weißt du übrigens, was rauskommt, wenn man Amazon rückwärts buchstabiert?«, fragt das Känguru.
»Nee«, sage ich und überlege kurz. »N O Z A M A?«
»Genau!«,
Weitere Kostenlose Bücher