Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
tourists.«
Das Känguru zeigt mir seine zitternden Pfoten.
»Cold turkey«, sagt es.
»Sollen wir zurück ins Hostel gehen?«
»Nein, wir sind hier verabredet.«
»Es stört mich überhaupt nicht, dass du mich immer erst kurz vor knapp in deine Pläne einweihst«, sage ich verärgert.
»Gut«, sagt das Känguru und zieht seinen Schlapphut etwas tiefer ins Gesicht. Es knöpft seinen beigefarbenen Trenchcoat auf. Darunter trägt es ein braunes Sakko und darunter ein orangefarbenes Hemd.
»Warum hast du dich eigentlich verkleidet?«, frage ich. »Hier wirst du doch gar nicht gesucht.«
»Ich bin gerne unsichtbar«, sagt das Känguru. »Es ist immer gut, wenn einen niemand erkennt.«
»Comandante«, ruft eine Frau auf der anderen Straßenseite. »Hier drüben.«
Sie winkt, und wir gehen zu ihr.
»Und Sie müssen der Hauptmann sein«, sagt die Frau, die zufälligerweise deutsch spricht. Ich bin sehr verwundert, sage aber nichts, um nichts Dummes zu sagen. Die Frau hält mir ihre rechte Faust hin. Ich kucke unsicher nach links, dann nach rechts, dann boxe ich meine rechte Faust gegen ihre Faust, und wir schlagen uns mit der flachen Hand auf die eigene Stirn.
»Ich bin die Unternehmensberaterin«, sagt die Frau. »Vom Asozialen Netzwerk, Sektion USA. Erfreut, Sie kennenzulernen.«
»Sektion USA?«, frage ich und habe das Gefühl, nun doch etwas Dummes gesagt zu haben.
»Ja, hast du denn geglaubt, ich war all die Zeit im Untergrund untätig?«, fragt das Känguru.
»Äh …«, sage ich. »Ja.«
»Äh … nein!«, sagt das Känguru, mich nachäffend.
»Das Asoziale Netzwerk expandiert«, sagt die Unternehmensberaterin. »Wir müssen neue Märkte für den Widerstand erschließen! Das heißt: Flexible Strukturen etablieren, innovative Protestformen konzipieren, kreative Slogans fabrizieren, teamfähige Mitglieder inkorporieren, begeisterungsfähige Supporter akquirieren und kreative …«
»Die fortschreitende Ökonomisierung der Gesellschaft nimmt erschreckende Ausmaße an«, sage ich.
»Sie haben mir mitgeteilt, dass Sie den Pinguin gesehen haben«, sagt das Känguru.
»Ja, in diesem Irish Pub hier«, sagt die Unternehmensberaterin und deutet auf ein Kneipenschild ein paar Meter die Straße hinauf. Da steht: Moody’s .
» Moody’s ist wirklich ein Irish Pub?«, frage ich. »Ich dachte immer, das sei eine Ratingagentur.«
»Oh, es ist beides«, sagt die Unternehmensberaterin. »Am Stammtisch drinnen sitzt ein alter Mann, der liest die Ratings im Bodensatz seiner Guinness-Gläser. In dem Wolkenkratzer hinter dem Pub werden seine Analysen dann ausgewertet und an die Banken und die Medien weitergeleitet.«
»So was in die Richtung hatte ich immer vermutet«, sage ich.
»Ich dachte immer, die würfeln«, sagt das Känguru.
»Nein, nein«, sagt die Unternehmensberaterin. »Das machen nur die von Standard & Poor’s .«
»Und was machen die bei Fitch ?«, frage ich.
»Die haben einen Lori, einen von diesen total langsamen kleinen Faulaffen«, sagt die Unternehmensberaterin. »Den lassen sie in einer Buchstabensuppe fischen.«
Wir betreten den Pub.
An einem Stammtisch in der Ecke sitzt ein alter Säufer und trinkt den letzten Schluck aus seinem Guinness-Glas.
»Beh einz«, rülpst er. Ein junger Kellner, der in seiner Nähe stand, rennt auf die Hintertür zu und verschwindet im Wolkenkratzer. Ich höre ihn noch aufgeregt rufen: »Italien abgestuft auf B1!«
Die Unternehmensberaterin nähert sich dem Stammtisch.
»Dürfen wir uns dazusetzen?«, fragt sie.
»Es ist ein freies Land«, brummt der Alte.
Ich lache laut auf. Als ich merke, dass keiner mitlacht, räuspere ich mich. »Oh … Entschuldigung. Ich dachte, das sollte ein Witz … Ich ähm … Die nächste Runde geht auf mich.«
Sofort erscheint der Kellner und stellt ein neues Bier vor den alten Mann.
»Gestatten Sie, dass ich mich und meine Assistenten kurz vorstelle«, sagt das Känguru. »Wir arbeiten in Brüssel in der Kommission für Demokratieabbau.«
»Unter anderem halten wir die ökonomische Dauerkrise am Laufen, die uns so hervorragend als Rechtfertigungshintergrund für alle unpopulären Maßnahmen dient«, sage ich.
»Wir wollten uns mal dafür bedanken, dass Sie uns mit Ihren Ratings helfen, die Drohkulisse aufrecht zu halten«, sagt die Unternehmensberaterin.
Der alte Mann trinkt schweigend einen Schluck von seinem Bier.
»KENNEN SIE DIESEN PINGUIN?«, ruft das Känguru und zeigt ihm das Passfoto.
»Äh … ja … das ist
Weitere Kostenlose Bücher