Die Kaffeemeisterin
und ihr über die roten Haare gestrichen. »Wie gern hätte ich mein Erbe endgültig in deine Hände gegeben …«
Aber dann hatte sie ihren verwachsenen kleinen Körper gestrafft und Johanna aus ihren Schildkrötenaugen streng angesehen.
»Aber weißt du, Yuhanissa«, hatte sie gesagt, »so ganz vollkommen ist deine Kunst ja noch nicht!«
»Ich weiß, Aglaia, aber was kann ich noch tun? Ich befolge ja schon gewissenhaft jeden Rat von dir!«
Auch Johanna hatte einen Kloß im Hals gehabt. Ihr war klar gewesen, dass sie ihre Lehrmeisterin nie mehr wiedersehen würde. Dass Zehra und ihre Töchter eines Tages tatsächlich in Frankfurt auftauchten, war nicht ausgeschlossen. Aber Aglaia war einfach zu alt; es war ohnehin schon ein Wunder, dass sie mit ihren über siebzig Jahren noch so rüstig war.
»Du musst lieben, Yuhanissa, lieben!«
»Lieben?«, hatte Johanna verwundert zurückgefragt.
»Ja. Nur wer wahrhaft liebt, hat das richtige Gespür für die kleine schwarze Bohne.« Sie hatte ihren krummen Zeigefinger gehoben und damit dicht vor Johannas Nase herumgewedelt. »Aber wirklich lieben, Yuhanissa! Nicht nur ein bisschen amore, amor e !«
Aglaia überraschte sie immer wieder – was verstand eine steinalte armenische Sklavin schon von der Liebe?, hatte Johanna sich gefragt. Und was sollte diese letzte Bemerkung bedeuten? Hatte Marcello ihr etwa von ihrer unglückseligen Liaison mit dem Conte erzählt?
Die Kaffeemeisterin des Sultans hatte ihr meckerndes Lachen ausgestoßen und ihr listig zugezwinkert.
»Ich war auch einmal jung, Yuhanissa. Und sehr schön, weißt du? Fand zumindest Mehmed, der Jäger. So nannten sie ihren Sultan damals, den Großvater von Mahmud. Er hat nicht nur Tiere gejagt, Yuhanissa, auch Frauen. Viele, viele Frauen! Aus aller Welt hat er sie herbringen lassen.« Sie war plötzlich ernst geworden, und ihre Stimme hatte sich zu einem Flüstern herabgesenkt. »Aber mich hat er geliebt, Yuhanissa. Und ich ihn. Das ist das ganze Geheimnis … Und jetzt geh, mein Täubchen! Fliege heim und finde deine Liebe!«
Als wollte sie sie segnen, hatte sie Johanna für einen kurzen Moment ihre Hand auf den Kopf gelegt. Dann war sie auf ihren krummen Beinen zur hinteren Küchentür hinausgewankt, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Und nun standen Fatma und Marcello vor ihr an Deck der Sirena , um sie ein letztes Mal in die Arme zu nehmen.
»Wir sehen uns wieder, Johanna! Ci vediamo a Francoforte, per la fiera! «, rief ihr Marcello noch einmal zu, bevor er die Strickleiter zu dem kleinen Boot hinunterkletterte, das ihn und die Kaffeehauswirtin zum Ufer zurückbringen sollte. »Komm, Fatma! Der Kapitän will Anker lichten.«
Und tatsächlich schienen die Ladeluken alle schon geschlossen zu sein, und die Matrosen standen auf ihren Plätzen bereit, um den schweren Anker nach oben zu ziehen.
»Jetzt fahren wir los, ja? Finalmente! Andiamo! «, sagte der genuesische Kapitän neben ihr, der kurz davor gewesen war, die Geduld zu verlieren. Er war ein schlaksiger Mann mit lebhaften Augen und einem markanten Kinn.
»Diese beiden Boote da«, dozierte er und deutete auf zwei zur Sirena gehörende Ruderboote, die mit jeweils zwanzig Ruderern besetzt waren, »werden uns auf das Meer hinausschleppen, wo wir hoffentlich eine Brise erwischen, die uns in Richtung Italien treibt. Sobald wir alle Manöver durchgeführt haben, werde ich mich bei Ihnen melden, um zu sehen, ob alles nach Ihren Wünschen ist. Der Erste Offizier« – er deutete auf einen stupsnäsigen Hänfling mit schlechter Haut – »wird Sie in Ihre Kajüte führen.«
Johanna bedankte sich und sah noch ein letztes Mal zum Ufer. Immer winziger wurden die Silhouetten von Marcello und Fatma auf dem kleinen Ruderboot. Sie riss die Arme hoch und winkte noch einmal heftig, als vom Topkapi-Palast mehrere ohrenbetäubende Böllerschüsse abgefeuert wurden, wie wenn sie ein hochdekorierter Admiral wäre, der hier verabschiedet wurde.
Unter Tränen folgten sie und Gül dem Ersten Offizier unter Deck. Die Kajüte war viel größer, als Johanna gedacht hatte. Die Wände waren mit dunklem Holz getäfelt und teilweise mit alten nautischen Instrumenten behängt. Obwohl die Kajüte so geräumig war, fühlte sich Johanna durch die fünf großen Truhen, die in der Mitte des Raumes nebeneinander abgestellt worden waren, leicht eingeengt. Sie vermutete, dass gewöhnlich der Erste Offizier hier wohnte und nun sein Domizil übergangsweise für die »Kaffeemeisterin des
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