Die Kaffeemeisterin
das Essen abgestellt wurde. Der eine Junge schaufelte Johanna eine Art Grieß auf den Teller und deutete dann auf die große Tajine, in der sich ein Eintopf aus gekochtem Gemüse und Fleisch befand. Dazu gab es mehrere scharfe Soßen, Rosinen und eine Sorte Erbsen, die Johanna nicht kannte. Sie löffelte alles auf den Grieß, der Kuskus hieß, wie ihr der Junge sagte. Wie hungrig sie war! Seit dem so dramatisch zu Ende gegangenen Abendessen auf der Sirena hatte sie nichts mehr zu sich genommen. Ob sie wohl schon wieder in ihre alten Kleider von vor der Zeit in Venedig passte?
Nach dem Essen brachten die Jungen Johanna einen Tee, der aus einem Aufguss aus Pfefferminze und schwarzen Blättern bestand. Oben in den kleinen Gläsern schwammen Pinienkerne. Sie wusste nicht, wie sie den Tee zu sich nehmen sollte, also kaute sie einfach auf den Pinienkernen herum, während sie vorsichtig die heiße Flüssigkeit schlürfte.
Ein heftiger Ruck schreckte sie hoch. Entsetzt stellte sie ihr Teeglas auf dem Tischchen ab.
»Das war nur der Anker«, radebrechte einer der Jungen auf Italienisch und goss ihr noch einmal nach.
Wenig später kam der geschmeidige Malteser zur Tür herein.
»Wir verladen jetzt Ihr Gepäck. Und danach lassen wir Sie an Land bringen, wenn Sie möchten. Wirklich bedauerlich, dass unser Zusammensein nur so kurz war!«
Er schenkte Gül, die zum Essen ihren Schleier ein wenig gelüftet hatte, ein strahlendes Lächeln.
Als Johanna an Deck kam, musste sie die Augen schließen, so sehr blendete sie die Sonne, die sich ihren Weg durch die dichten Schäfchenwolken brach. Trotz des bedeckten Himmels bot sich ihr ein spektakulärer Anblick. In der Ferne erhob sich ein großer Berg mit einer abgebrochenen Doppelspitze, aus der eine Fahne Rauch stieg. Eine felsige Landzunge, die das eine Ende des sanft geschwungenen Meerbusens bildete, führte in die blaue See hinein. Davor lag eine ebenso felsige Insel, deren Hänge im unteren Teil bewaldet schienen. Das musste Capri sein, erinnerte sich Johanna an die Erläuterungen des kundigen Maltesers.
Wenig später umfingen sie starke Piratenarme in einem blütenweißen Kaftan von unten und platzierten sie auf einer der Truhen in dem tief im Wasser liegenden Beiboot, das Kurs auf die Küste nahm. Johanna drehte sich noch einmal um. Die schwarze Flagge mit dem aufgemalten Totenkopf am Hauptmast flatterte im Wind. Was für ein Abenteuer! Sie schüttelte den Kopf. Wenn sie es nicht selbst erlebt hätte, sie würde es nicht glauben wollen.
Ein letztes Mal winkte sie dem Kapitän zu und setzte sich dann so, dass sie die wunderschöne Aussicht auf den Golf von Neapel genießen konnte. Sie hatte keine Ahnung, was genau sie erwartete und wie sie ihre Reise nach Frankfurt fortsetzen könnte, aber sie würden sich schon durchschlagen, sie und die gute Gül. Nach all dem, was sie schon zusammen durchgemacht hatten. Genug Geld hatten sie schließlich auch. Wenn man sie und ihr Eigentum nur heil an Land bringen würde … Nie mehr in ihrem Leben würde sie ein Boot besteigen!, das schwor sie sich.
23. KAPITEL
W ie anders war Neapel doch als Venedig, staunte Johanna, als die ersten ockerfarbenen Häuser der süditalienischen Hafenstadt in Sicht kamen. Gemeinsam mit Gül versank sie in dem bequemen, wenn auch etwas abgeschabten Polster der großen, offenen Kutsche, die sie von Posillipo in die Stadt hineinbrachte. Sie hatte die Beine auf einer ihrer kostbaren Truhen ausgestreckt. Kleine Sonnenschirme waren auf jeder Seite des Gefährts befestigt, sodass sie bequem im Schatten saß. Das war aber auch nötig, spannte doch ihre Gesichtshaut noch von der sengenden Sonne während der Überfahrt. Überdies waren ihre Hände und Unterarme komplett mit Sommersprossen übersät.
Auf dem Kutschbock vor ihnen hockte der freundliche Andalusier mit den beiden Goldzähnen und den unzähligen Tätowierungen auf den nackten Armen, der sie in dem kleinen Fischerdorf südwestlich von Neapel in Empfang genommen hatte, wo die Piraten mit ihrem Beiboot an Land gegangen waren. Xavier Zaragoza, ein Freund von Gabriel Mendoza, war selbst viele Jahre zur See gefahren. Aber nun führte er ein Lokal in Santa Lucia, dem Hafenviertel von Neapel, und wirkte auf Johanna wie ein waschechter Bürger dieser Stadt. »Le donne« , hatte er nur grin send auf ihre Frage erklärt, warum er denn die See mit dem Land vertauscht habe, »die Frauen«.
Die Bewohner von Posillipo waren alles andere als begeistert gewesen, als
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