Die Kaffeemeisterin
Suppenschüssel neben sich liegen sah. Aber die Nässe an ihren Füßen nahm weiter zu. Und das Rauschen und Plätschern, das die ganze Zeit schon an ihre Ohren gedrungen war, verstärkte sich.
Mit schreckgeweiteten Augen sah sie sich um. Plötzlich erkannte sie, woher die Nässe kam: Unter dem Türspalt sickerte in einem stetigen Strom Wasser hindurch.
Das Schiff sank! Sie würden alle ertrinken, mit Mann und Maus! Mitsamt ihrem Gold und ihren Schätzen! Hatte sie es nicht schon immer gewusst, dass Wasser gefährlich war, eine Naturgewalt, die viel mächtiger war als der Mensch? War ihre Angst vor dem Wasser nicht immer berechtigt gewesen, auch wenn andere darüber gelächelt hatten?
Johanna schüttelte sich. Vorsichtig fuhr sie mit den Fingerspitzen über ihre Kleidung, um die letzten Glassplitter abzuzupfen. Nein, sie durfte nicht zulassen, dass die Panik sie übermannte! Sie musste einen kühlen Kopf bewahren, um aus dieser Hölle herauszukommen und ihre Truhen zu retten. Vor allem musste sie aus dieser Kajüte raus, denn wenn sie noch lange zögerte, würde sie sich gar nicht mehr gegen die ihr entgegenfließenden Wassermassen stemmen können. Und ob Kapitän Barbosa sich wirklich an sein Versprechen erinnern würde, sie hier herauszuholen, darauf wollte sie lieber nicht vertrauen. Er hatte sicher ganz andere Sorgen, mit den Piraten an Deck.
Sie ignorierte die hämmernden Schmerzen in ihrem Kopf und wandte sich dem Ersten Offizier zu. Als sie sich über ihn beugte, sah sie sofort, dass er tot war. Der Aufprall war zu heftig gewesen, er schien sich das Genick gebrochen zu haben. Sie fühlte, wie ihr wieder schwindelig wurde, und kroch auf allen vieren zur Tür. Der Albino in seiner blutverschmierten Livree sah aus, als wäre er noch am Leben. Sie fühlte seinen Puls. Er war schwach, aber eindeutig vorhanden. Wieder stieg Angst in ihr auf. Sie würde kaum sich selbst retten können, geschweige denn ihre Truhen – aber konnte sie den Mann denn hier so einfach liegen lassen?
Ein Widerstreit entfesselte sich in ihrem Inneren. Die eine Stimme raunte ihr zu, dass das Wasser ständig höher stieg und sie zusehen musste, so schnell wie möglich an Deck zu gelangen, um nicht selbst in den Fluten umzukommen. Während die andere Stimme ihr eindringlich befahl, den Verletzten aus der Kajüte herauszubefördern, wie auch immer. Plötzlich musste Johanna an Adam denken – Adam, der immer gewusst hatte, wie man sich in den brenzligsten Situationen verhielt. Nicht ein Mal hatte Adam die Nerven verloren, stets hatte er sich so verhalten, wie es für alle am besten war. Natürlich, Adam hätte den Verletzten gerettet, und zwar sofort, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken! Und dann erst sich selbst und sein Hab und Gut … Auch sie würde es sich nie mehr verzeihen können, einen Menschen, dessen Schicksal von ihr abhing, dem sicheren Tod überlassen zu haben, das erkannte sie plötzlich genau. Also blieb ihr nur eins.
Sich am Türrahmen hochhangelnd, stemmte sie sich wieder auf die Beine. Die Schlüsselkette um ihren Hals schien ihr so schwer wie ein Rinderjoch und zog sie immer wieder nach unten. Mühsam drehte sie den Ohnmächtigen auf den Rücken, damit seine Nase nicht im Wasser lag, und schleifte ihn unter den Armen gepackt aus der Kajüte heraus. Übelkeit überfiel sie, und sie musste sich würgend erbrechen. Alles um sie herum schien sich zu drehen, Sternchen tanzten vor ihren Augen, sie hatte vollkommen die Orientierung verloren. Wo war die Treppe nach oben, rechts oder links den Gang entlang? Der Gefechtslärm vom Deck schien leiser geworden zu sein. Oder kam es ihr nur so vor? Sehen konnte sie auch kaum mehr etwas, aber das lag daran, dass die meisten Laternen ausgegangen oder ins Wasser gefallen waren. Nur das Feuer in der Kapitänskabine und eine in weiter Entfernung an der Wand befestigte Laterne leuchteten ihr noch den Weg. Auf der einen Seite des Ganges stand das Wasser höher als auf der anderen: Sie schienen Schlagseite zu haben. Wie viel Zeit blieb ihr wohl noch, bis das Schiff kentern würde?
Erneut richtete sie sich auf. Aber sofort sackten ihr die Beine wieder weg. Schließlich schob sie den Mann, so gut es ging, auf allen vieren vor sich her in die Richtung, in der sie die Treppe nach oben vermutete. Zumindest schien das Wasser von dort zu kommen.
Just in dem Moment, als sie endlich die Treppe erreicht hatte, öffnete sie den Mund, um nach Hilfe zu schreien. Eine Welle Salzwasser schwappte wie
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