Die Kaffeemeisterin
ein Sturzbach die Stufen hinunter, sodass sie den Mund panisch wieder schloss. Wie sollte sie den schweren Körper des Ohnmächtigen bloß die Treppe hinaufbekommen?, dachte sie verzweifelt. Schon ihren eigenen Körper aufrecht zu halten, schien ihr unmöglich. Warum kam denn niemand, um ihr zu helfen? Hatte der Kapitän sie tatsächlich vergessen? Würde ihr Leben hier enden?
Sie fühlte, dass sie nicht mehr genug Kraft haben würde, um sich gegen das hereinbrechende Wasser zu stemmen und die Treppe hinaufzuklettern. Gleich würde auch sie das Bewusstsein verlieren. So war das also, wenn man sein letztes Stündlein schlagen spürte! Wie gern hätte sie Gabriel noch einmal wiedergesehen, die Mädchen, Elisabeth … Nicht mehr lange, und auch ihre Seele würde in die Ewigkeit hinübergleiten, wie die des Mannes vor ihr, des Ersten Offiziers und all der anderen, ein paar Atemzüge noch, und dann war alles vorbei, ein schönes Leben, aber viel zu kurz, was hätte sie dafür gegeben, noch einmal mit Gabriel …
»Ya Gabriel, anqriss as-sayda!«
Sofort regten sich ihre Geister wieder. Was hatte der Mann da gesagt: »Gabriel, rette die Frau«?
Dank der täglichen Arabischstunden der Prinzessinnen, denen sie so oft beigewohnt hatte, war sie in der Lage gewesen, die Worte des Unbekannten zu verstehen. Aber wie kam Gabriel hierher? Wie hatte er von ihrem Unglück erfahren, wie sie gefunden?
Das Letzte, was sie mitbekam, war, dass sich zwei kräftige Männerhände um ihre Taille legten, sie mühelos hochhoben und die Treppe hinauftrugen. Dann wurde alles schwarz um sie herum.
22. KAPITEL
I ch glaube, ich habe gerade ein Blinzeln gesehen! Ja, ihreAugenlider bewegen sich … Sie lebt! Sie wacht wieder auf! … Oh, mein Gott, du hast mich erhört … Alhamdullilah! Alhamdullilah! «
Wie durch einen dichten Nebel hörte Johanna die zwitschernde Stimme an ihrem Ohr. Obwohl sie gerade erst wieder zu Sinnen gekommen war, wusste sie genau, wem diese Stimme gehörte: Gül, ihrer ungarischen Sklavin. Und doch war es seltsam, Gül so zwitschern zu hören. Was war geschehen? Und wo war Gabriel? Er war es doch gewesen, der sie aus dem untergehenden Schiff gerettet hatte!
Als Johanna die Augen aufschlug, sah sie als Erstes die verschleierte Sklavin. Dann bemerkte sie drei Männer, die ebenfalls neben ihrem Kopfende standen und die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Auf ihrer Stirn lag ein angenehm kühler Lappen, und ihr linker kleiner Finger steckte in einem Verband. Sie war auf einen weichen Diwan gebettet. Die Sonne schien – dabei war es doch gerade noch Abend gewesen, und sie hatte mit dem Kapitän und dem Ersten Offizier der Sirena ein Glas Wein getrunken … Noch immer hatte sie den fruchtigen Geschmack des rubinroten Rossese auf der Zunge.
»Wir möchten uns bei Ihnen entschuldigen, Sayda Yuhanissa.«
Der junge Mann mit dem fliehenden Kinn, der sie in fließendem Italienisch angesprochen hatte, trug einen roten Rock. Um seinen Hals hing ein riesiges Kreuz.
»Das ist Kapitän Saleh.«
Er zeigte auf einen Mann, der wie ein Tuareg gekleidet war und von dessen Gesicht man genauso wenig zu sehen bekam wie von Güls. Nur die großen dunklen Augen, ein wenig schwarze Haut und der Ansatz einer schmalen Nase waren nicht von dem weißen Tuch um seinen Kopf verhüllt.
»Er lässt Ihnen ausrichten, dass wir Sie deutlich sanfter gerammt hätten, wenn wir geahnt hätten, dass eine Gesandte des Padischah – Gott segne unseren Herrscher! – an Bord ist. Wir entschuldigen uns ausdrücklich für all die Unannehmlichkeiten, die Sie zu erleiden hatten.«
Er überschlug sich fast vor Höflichkeit.
»Mein Name ist Jean de Toulon«, fuhr er in seinem tadellosen Italienisch fort, »ich stamme aus Malta und habe bis vor Kurzem dem Orden des heiligen Johannes von Jerusalem angehört. Kapitän Saleh kennen Sie schon. Und das ist unser Geschützmeister Gabriel Mendoza.«
Enttäuscht blickte Johanna auf den Mann mit den kurzen grauen Haaren, der neben dem Kapitän stand und mit seiner schwarzen Augenklappe tatsächlich aussah wie ein Pirat aus einem Geschichtenbuch. Fehlte nur noch der Papagei auf der Schulter und das Holzbein, dachte sie. Das war also der Gabriel, dem sie ihr Leben verdankte! Natürlich, wie dumm von ihr! Bestimmt gab es jede Menge Gabriels auf dieser Welt.
Der Geschützmeister hatte ihr die Enttäuschung offenbar angemerkt, denn er fragte höflich:
»Sie scheinen einen anderen Gabriel erwartet zu haben?«
»Ich war schon
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