Die Kaffeemeisterin
und schon ein wenig verwittert, aber die dazugehörigen Bänke mussten nagelneu sein.
Johanna schaute sich um. Was für ein schönes Licht! Plötzlich war sie doch froh, sich zu dem Sachsenhäuser Ausflug überredet haben zu lassen. Die Sonne schickte nun einmal ihre letzten warmen Strahlen auf diese Seite des Mains; es war wirklich viel angenehmer, hier im Freien zu sitzen als drüben im Schatten, wo die frühherbstliche Kühle sich um diese Uhrzeit bereits bemerkbar machte. Die meisten von Martins und Ännchens Gästen waren wohl genau wie sie aus der Stadt herübergekommen, um den Tag im Kreis von Freunden und Verwandten bei einem Äppelwoi zu beschließen. Johanna zählte ungewöhnlich viele Frauen unter ihnen, denn die Heckenwirtschaften waren die einzigen Gasthäuser, in denen sich die Damenwelt blicken lassen konnte, ohne ih ren Ruf aufs Spiel zu setzen. Sie erkannte am Tisch neben dem Tor inmitten einer fröhlichen Runde den Sieger des Fischer stechens. Weiter hinten schienen ein paar Schreinergesellen zu sammen mit ihren kreischenden Frauenzimmern den Feierabend zu begießen. Und in der Nähe der Mauer saß die schwarze Bijou-tiersgattin Christine Haberkorn mit einem rundgesichtigen älteren Herrn mit schwarzer Perücke, der wohl ihr Ehemann war.
Nachdem Johanna ausgiebig mit dem Bijoutier und seiner Frau geplaudert hatte, trat sie an den langen Tisch der Schreinergesellen, zu denen sich ihre Freunde inzwischen gesellt hatten. Sie saßen direkt unter den Zweigen einer alten Kastanie, die sich auf der anderen Seite der Gartenmauer befand und von einem eifrigen Specht bearbeitet wurde. Nur die Mauer, ein altes Türmchen und ein paar Bäume trennten sie von der mächtigen, ganz Sachsenhausen einschließenden Befestigungsanlage. Jenseits davon befanden sich die Sommervillen der reichen Frankfurter, Obstgärten, Wiesen, Felder und dann der Stadtwald. Wie friedlich wirkte das alles in der Abendsonne!
Martin Münch, eine Schürze aus hessischem Tuch umgebunden, hatte ein Tablett mit vier Bechern und einem Tonkrug gegen seine Hüfte gestützt. Vorsichtig setzte er das Tablett auf dem Tisch ab. Seine Bewegungen wirkten ungeschickt, als müsste er noch üben, mit nur einer Hand zurechtzukommen.
»Schön, dass ihr euch mal hier bei uns blicken lasst!«, sagte er.
Er schenkte die Becher bis zum Rand voll. Johanna hatte den Eindruck, als wäre er besser beieinander als bei ihren letzten Begegnungen. Zwar waren seine Wangen noch immer hohl und die Hakennase wirkte konturierter als früher, aber er schien wieder er selbst zu sein.
»Jetzt setz dich erst mal zu uns und trink einen mit!«, sagte Justus und verscheuchte eine Wespe von seinem Becher.
»Würde ich furchtbar gerne, aber ich muss mich um die Gäste kümmern.«
Bedauernd zuckte Martin Münch mit den Schultern, was den leeren Ärmel an seinem Wams vibrieren ließ.
»Ich kann mir vorstellen«, nickte Ludwig Haldersleben, »dass die Konkurrenz unter euch Apfelweinwirten auch nicht gerade kleiner wird, oder?«
Als freute er sich, dass sich endlich einmal jemand für seine Sorgen interessierte, holte der Angesprochene weit aus. Die anderen Gäste in dem voll besetzten Garten schien er vergessen zu haben.
»Seit der Rat im letzten November sein Edikt mit der Apfelweinsteuer verkündet hat, ist das Betreiben einer Heckenwirtschaft richtig teuer geworden. Nicht, dass wir nicht schon vorher hätten Gebühren zahlen müssen, aber da hat sich ja keiner dran gehalten! Jetzt schleichen überall Spitzel herum, die die Steuerbetrüger an den Senat verpfeifen – und noch nicht mal ihren Namen nennen müssen, wenn sie jemanden anzeigen. Stellt euch das mal vor! Damit wird natürlich jede Menge Schindluder getrieben. Ich habe meinen Fichtenkranz mit dem Apfel in der Mitte schon immer an der Tür hängen gehabt und natürlich auch immer meine Abgaben gezahlt, aber das nützt einem unter Umständen überhaupt nichts mehr, wenn da einfach so einer herkommt und sagt, du produzierst und verkaufst viel mehr, als du eigentlich darfst.« Er schüttelte angewidert den Kopf. »Und dann war auch noch die letzte Ernte so schlecht! Fast die Hälfte meiner Bäume hat kaum was getragen. Der Frost, ich sag’s euch! Aber die neue Ernte ist dafür ausgezeichnet.«
»Und einen Konkurrenten hast du ja auch weniger.«
Justus machte eine Bewegung mit dem Kinn in Richtung des Hoffmann’schen Anwesens.
»Prost, Martin!« Er hob seinen Becher. »Auf dich und auf uns! Auf dass es noch
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