Die Kaffeemeisterin
lallend.
Johanna verstand nicht, wie die Freundin so die Beherrschung über sich verlieren konnte. Ihr Blick wirkte glasig, und das Tuch in ihrem Ausschnitt war verrutscht, sodass die Schreinergesellen von der gegenüberliegenden Tischseite einen wunderbaren Einblick in ihr Dekolleté bekamen. Außerdem war sie so nah an Ludwig Haldersleben herangerutscht, dass sie ihm fast schon auf dem Schoß saß.
»Genau, sei keine Spielverderberin, Johanna!« Justus schnippte mit den Fingern, um das zwischen den Tischen hin und her wetzende Ännchen auf sich aufmerksam zu machen. »Du und ich, wir haben schließlich Pause! Genieß es doch einfach! Morgen sind wir wieder diejenigen, die die Gäste unterhalten müssen. Hier kannst du dich zur Abwechslung einmal selber bedienen lassen.«
Elisabeth nickte eifrig.
»Sei nicht so langweilig, Hanne!«, wiederholte sie nölend. »Immer musst du anderen Leuten den Spaß verderben! Nicht wahr, Ludwig, immer wird Hanne so streng und ernst und will gar nicht mehr weiterfeiern. Manchmal kann ich kaum glauben, dass ausgerechnet dir auf deiner Reise alle diese Abenteuer passiert sein sollen, von denen du immer erzählst. Wo du doch so langweilig sein kannst, Hanne!«
»Lasst uns noch einen Becher trinken und dann gehen«, versuchte der Kartenmacher zu vermitteln.
Johanna hatte den Eindruck, er fühlte sich genauso unwohl wie sie selbst. Und obendrein schien ihm Elisabeths Verhalten auch peinlich zu sein. Er zwinkerte ihr zu und hob mit schiefem Lächeln seinen Becher.
Ihre Aufmerksamkeit wurde auf drei zerlumpte Straßenmusikanten gelenkt, die durch die Tischreihen liefen: ein Fiedler, ein Flötist, dessen Instrument ein unangenehmes Schrillen von sich gab, und ein Tamburinspieler. Dieser ließ zugleich einen ledernen Becher mit Münzen klimpern, den er den Gästen des Lokals unter die Nase hielt. Die angeheiterten Schreinergesellen und ihre Gespielinnen bildeten eine Polonaise und hopsten hinter den Musikanten her.
»Los, da machen wir mit!«, rief Justus begeistert.
Schwankend erhob er sich und griff nach Johannas Hand. Plötzlich stutzte er und brüllte dann so laut, dass er die Musiker übertönte:
»Sieh mal einer an! Wenn man vom Teufel spricht …«
Sofort ließ er Johannas Hand fallen, griff nach seinem Getränk und streckte den Arm mit dem frisch gefüllten Becher aus.
»Prosit, Gottfried! Komm her zu uns und trink einen Schoppen mit!«, grölte er triumphierend.
Elisabeth war schlagartig alles Blut aus dem Gesicht gewichen. Ängstlich umklammerte sie Ludwig Halderslebens Arm. Sie sah jetzt gar nicht mehr angeheitert aus, sondern nur noch wie eine Frau, die befürchtete, wieder Prügel einstecken zu müssen.
»Bist du völlig wahnsinnig geworden?«, zischte Johanna zu Justus und packte ihn an der Jacke, um ihn wieder auf die Bank zu ziehen. »Hoffentlich hat er uns noch nicht gesehen! Wie kann man nur so dumm sein? Warum musst du ihn auch noch auf uns aufmerksam machen?«
Gottfried Hoffmann und drei seiner Männer hatten sich breitbeinig unter dem Torbogen aufgebaut. Das Gesicht des Apfelweinwirts war aufgequollen, die Tränensäcke schwer. Er wirkte wie jemand, der sich nach einem schweren Schicksalsschlag nicht mehr im Griff hatte. Nichts erinnerte mehr an den einstmals gut aussehenden und stattlichen Mann, den Elisabeth geheiratet hatte. In der rechten Hand schwang er bemüht lässig eine große Axt, als wäre sie ein Kriegsbeil. Links neben ihm stand ein hünenhafter Kahlkopf mit groben Zügen, der seine wenigen verbliebenen Haare zu einem dünnen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Johanna hatte selten jemanden gesehen, der so hässlich war. Ihn, wie auch die beiden anderen Kumpane von Gottfried, ein schmächtiges Männchen mit einem schuppigen Ekzem um den Mund und ein an beiden Oberarmen tätowierter Schrank, meinte sie von der Schlägerei bei ihrem Fest wiederzuerkennen. Traurige Gestalten, die zu einfältig oder zu verzweifelt waren, um zu begreifen, dass der Wind sich gedreht hatte und Gottfried Hoffmann nicht mehr der große Rädelsführer war, in dessen Diensten zu stehen man sich stolz und erhaben fühlen konnte.
Martin Münch, dem der Schrecken ins Gesicht geschrieben stand, war mannhaft auf Gottfried zugetreten und redete beschwörend auf ihn ein. Der aber fuchtelte nur mit dem Arm herum, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen.
Abrupt hatten die Musiker zu spielen aufgehört. Als ahnten sie, dass Unheil drohte, lächelten sie verschämt nach
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