Die Kaffeemeisterin
wollen! Ich klopfe mal.«
Johanna glaubte, ihr Herz würde aussetzen, als er sich tatsächlich in Richtung Tür aufmachte. Sie eilte hinter ihm her und hielt ihn am Ärmel fest.
»Bist du noch bei Trost, Justus?«
»Haha, reingelegt!«, lachte Justus, als er die erschreckten Mienen seiner Freunde sah. »Ihr hättet mir das wirklich zugetraut? Denkt ihr, ich bin verrückt, oder was?«
»Ich will unbedingt noch Ännchen und Martin Guten Tag sagen. Wir trinken einen Äppelwoi, und dann gehen wir wieder«, quengelte Elisabeth, die auch schon zwei große Becher Apfelwein getrunken hatte. Sowohl Justus als auch Elisabeth waren knallrot im Gesicht.
Ludwig Halderslebens Miene nahm einen ganz weichen Ausdruck an, und Johanna sah ein, dass sie diese Partie verloren hatte. Nie konnte er Elisabeth etwas abschlagen.
»Ja, dann gehen wir doch im Wilden Ochsen noch einen Schoppen heben!«
Demonstrativ spuckte Justus vor Gottfried Hoffmanns Haus aus und watete o-beinig an einem Kuhfladen vorbei, der mitten auf der matschigen Sachsenhäuser Gasse lag.
Johanna hatte von Anfang an nicht viel von der Idee gehalten, einen Ausflug auf die andere Mainseite zu unternehmen. Es schien ihr ratsamer, sich von Sachsenhausen fernzuhalten. Sie wollte schließlich nicht unnötig provozieren. »Du solltest mal eine Pause einlegen, Mutter!«, hatte dann aber Margarethe gesagt. So hatte es angefangen. Und Justus würde auch eine Pause brauchen, hatte das junge Mädchen leicht verschämt hinzugefügt und wie immer in Anwesenheit des Schultheißneffen die Augen niedergeschlagen. »Pause? Was soll ich mit einer Pause? Ich mache doch schon mein ganzes Leben lang Pause!«, hatte Justus eingewandt. Aber Margarethe hatte sie alle überstimmt. Sie wurde mehr und mehr wie Adam: energisch und tatkräftig, dabei nie laut oder aufdringlich. Schon jetzt, mit ihren gerade einmal fünfzehn Jahren, strahlte sie in ihrer ruhigen Art eine erstaunliche Souveränität aus. All das, was Johanna sich mühsam hatte aneignen müssen, schien bei ihr angeboren zu sein. Ganz sicher würde Margarethe eines Tages eine wunderbare Kaffeehauswirtin abgeben. Und sie hatte natürlich vollkommen recht: Sie, Johanna, war tatsächlich ziemlich erschöpft und heiser vom vielen Erzählen. Seit zwei Wochen traten sie und Justus nun schon jeden Abend auf. Sie schwamm im Geld, und noch immer hofften die Frankfurter darauf, dass der Fischer Hüseyin und seine schöne Haremsdame sich irgendwann kriegen würden. Hüseyin war es inzwischen gelungen, sich als Küchenjunge im Palast zu verdingen, und er überlegte, ob er aus Liebe zu seiner Angebeteten zum Eunuchen werden sollte. Denn wie sonst könnte er sie jemals sehen? Mihrimâh hingegen spielte mit dem Gedanken, sich vom höchsten Palastfenster aus ins Meer zu stürzen, wie sie ihrer besten Freundin Suleika anvertraut hatte, so unglücklich war sie über ihr auswegloses Schicksal. Jeder, aber auch wirklich jeder, der in Frankfurt etwas zählte, wollte sich von ihr in der Coffeemühle Geschichten erzählen lassen, hatte Johanna zutiefst befriedigt festgestellt.
Ja, sie hatte sich eindeutig eine Pause verdient, lächelte sie in sich hinein, als sie mit den Freunden durch den runden Torbogen in den Hof des Wilden Ochsen trat. Wenn sie auch nach wie vor keineswegs begeistert über die Vorstellung war, diese ausgerechnet in Sachsenhausen zu verbringen. Hätte sie Elisabeth doch einfach alleine losziehen lassen! Aber nein, das hatte sie nicht gekonnt. Dann hätte sie sich die ganze Zeit Sorgen um sie gemacht. Na, hoffentlich war Elisabeth jetzt zufrieden, wo sie gesehen hatte, wie es um ihr ehemaliges Heim bestellt war. Entspann dich einfach, redete Johanna sich selbst gut zu, es ist ein wunderbarer Sommerabend. Nicht mehr lange, und der Sommer ist vorbei. Mach dir einfach einen schönen Abend mit deinen Freunden und vergiss mal für einen Augenblick Gottfried Hoffmann!
»Na so etwas!« Mit roten Wangen kam ihnen Ännchen Münch entgegen und umarmte Elisabeth. »Was für eine Freude!«
Es hätte keinen größeren Gegensatz zu dem verwüsteten Garten der Hoffmanns geben können als den lauschigen Hof der Münch’schen Heckenwirtschaft. Der Wind raschelte in den prächtigen Kastanien, an denen schon die ersten stacheligen grünen Bällchen hingen. Die Sonne warf ihre langen Strahlen durch die bräunlich gewordenen Blätter. Die meisten der etwa zehn auf der Wiese platzierten Holztische waren besetzt. Die Tische wirkten zwar grob gezimmert
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