Die Kaffeemeisterin
grinste er auf einmal fröhlich.
»Wunderbar, Jehuda!«, rief Johanna erleichtert. »Soll ich mit in den Keller kommen, um Ihnen beim Tragen zu helfen?«
Nicht auszudenken, wenn der Krämer ihr nicht hätte aushelfen können! Wahrscheinlich wäre es am geschicktesten, sie würde gleich noch mehr bei ihm bestellen, überlegte sie schnell. Auf Jehuda war schon immer Verlass gewesen. Im Gegensatz zu Floriano, diesem alten Ridotto -Gänger! Und vielleicht würde es dem Krämer ja auch helfen, seine Trauer um Mirjam zu überwinden, wenn sie wieder Geschäfte miteinander machen konnten wie in früheren Zeiten. Ja, sie könnte ihn zu ihrem festen Handelspartner erklären, sicher würde er sie auch noch mit anderen Waren beliefern können als nur mit Kaffee.
»Ist nicht nötig, meine Liebe, dafür habe ich schließlich noch den guten Schmuel, meinen Gehilfen. Er will den Laden hier mal übernehmen, dann kann er ruhig etwas dafür tun. Warten Sie hier, Johanna, ich bin gleich wieder da!«
Jehuda wirkte wie neu belebt, als er jetzt ohne Stock zurück ins Innere seines Ladens eilte. Nur seine eingefallenen Schultern und der zu weite Rock, der um seinen dürren Leib schlotterte, zeugten von dem Leid, das er erfahren hatte, dachte Johanna, während sie ihm nachschaute.
Plötzlich entdeckte sie einen Besen, der in einer Ecke neben der Tür zum Treppenhaus stand. Solange sie auf Jehuda und Schmuel wartete, konnte sie ruhig ein wenig im Laden sauber machen, beschloss sie. Bei Jehuda dauerte es manchmal Ewigkeiten, bis er aus den Tiefen seiner unterirdischen Lagerräume zurückkehrte.
Als sie auf die Tür zutrat, um sich den Besen zu holen, bemerkte sie, dass diese nur angelehnt war. Kurz zögerte sie, dann konnte sie der Versuchung nicht mehr widerstehen: Vorsichtig zog sie die Tür ein Stückchen weiter auf und spähte in das dunkle Treppenhaus hinein.
Durch diesen Eingang war Gabriel in ihr Leben getreten, als sie ihn zum allerersten Mal gesehen hatte. In der Erinnerung schien ihr jener magische Augenblick wie aus einer anderen Zeit zu stammen. Damals hatte sie Gabriel erst gehört, bevor sie ihn gesehen hatte. Genauer gesagt, sein Geigenspiel, mit dem er sie verzaubert hatte, noch bevor sie wusste, wer er war. Und in dem Moment, als er dann schließlich vor ihr gestanden hatte, war es endgültig um sie geschehen gewesen. Ja, schon bei dieser ersten Begegnung hatte sie gespürt, dass er der Mann ihres Lebens sein würde. Liebe auf den ersten Blick sozusagen. So etwas gab es, das hatte sie oft genug von anderen Leuten erzählt bekommen; seltsam nur, dass sie sich erst jetzt richtig darüber klar wurde. Natürlich, auch sie hatte dieses Schicksal ereilt! Bloß dass es in ihrer Geschichte kein glückliches Ende geben würde. Gewöhnlich blieben die beiden Liebenden dann bis zu ihrem Tod beieinander und bekamen viele Kinder und Kindeskinder. »… und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute«, so hatte auch sie schon manch einen ihrer Scheherazade-Abende ausklingen lassen.
Johanna hatte bereits den Besen in der Hand und die Tür fast wieder geschlossen, als sie plötzlich ein Geräusch vernahm, das von einem der oberen Stockwerke zu kommen schien. Als wäre irgendwo im Haus eine Tür zugeknallt. Erstarrt blieb sie stehen. Nur ihr Herz puckerte wie verrückt. Ihr fiel ein, wie sie früher als Kind immer die Blütenblätter eines Gänseblümchens abgezupft hatte, um dem Schicksal vorauszueilen und einen Blick in die Zukunft zu werfen: »Er liebt mich, er liebt mich nicht …« Bis nur noch ein einziges weißes Blättchen übrig geblieben war und sie gewusst hatte, was auf sie zukommen würde. Was das Gänseblümchenorakel ihr jetzt wohl sagen würde? »Er ist es, er ist es nicht, er ist es, er ist es nicht …« Und wenn er es tatsächlich sein sollte – wäre das dann nicht von Gott so gewollt, dass sie sich wiedersahen?
Johanna hielt den Atem an und lauschte. Jetzt ertönten leichtfüßige Schritte, die nach unten eilten, begleitet von einem Pfeifen, einer Melodie, die ihr bekannt vorkam. Vorsichtig machte sie die Tür ein Stück weiter auf. Dieses Mal knarrte sie ein wenig. Die Schritte hielten inne, als hätte derjenige, der die Stufen herunterkam, das Knarren gehört. Dann setzten sie wieder ein, etwas vorsichtiger und tastender als zuvor.
Johanna konnte nichts sehen, sie konnte nur ihren eigenen sich beschleunigenden Atem hören. Die Tür stand jetzt sperrangelweit auf. Sie umklammerte den Besenstiel so
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