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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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den stumpfen Gesichtszügen, die ihm bei der Eröffnung der Coffeemühle schon nicht recht geheuer gewesen war, hielt eine große orientalische Kaffeekanne in der Hand und sah forschend in die Runde, um herauszufinden, wem sie noch Kaffee nachschenken konnte.
    Ob sie ihn gesehen hatte? Gabriel duckte sich noch ein wenig mehr hinter die Burschen. Zwischen ihren Schultern hindurch sah er den Kartenmacher den Hof betreten. Er schien ihm ein wenig zu humpeln und wirkte im Gegensatz zu ihrer letzten Begegnung weniger agil und jugendlich. Wo war Johannas Freundin, die er damals bei seinem Besuch im Haus von Ludwig Haldersleben getroffen hatte?, fragte er sich unwillkürlich. Er hatte eine zwiespältige Erinnerung an sie; sie war die Frau des Mannes, der ihn beinah getötet hätte, und zugleich mit Johanna und wohl auch diesem freundlichen Kartenmacher eng befreundet.
    »Der junge Fischer gab noch ein paar gehackte Korianderblätter über seinen Eintopf, dann war das Gericht fertig. Es duftete verführerisch, und er wusste, dass er eine Meisterleistung vollbracht hatte. Allerdings war er nicht geübt im Kochen für so viele Menschen, sodass er ziemlich lange für die Zubereitung gebraucht hatte. Schon zweimal war eine Dienerin in die Küche gekommen, um sich nach dem Verbleib des Mittagessens zu erkundigen. Die Damen seien hungrig und die Sultana kurz davor, schlechte Laune zu bekommen, was sie weder ihm noch sich selbst und den anderen Frauen wünschen würde, hatte die tief verschleierte Odaliske erklärt. Hüseyin, dem die gefürchtete Launenhaftigkeit der Sultana bereits mehrfach zu Ohren gekommen war, hatte sich wortreich entschuldigt und der anmutigen, jedoch für seinen Geschmack etwas zu mageren Zypriotin erklärt, er sei eigentlich Fischer von Beruf und bloß aushilfsweise mit der Zubereitung des Essens beauftragt, weil der Koch erkrankt sei. Denn dass sie Zypriotin war, meinte er ihrem Akzent entnehmen zu können. Und auch das Aufblitzen ihrer dunklen Augen über dem Schleier war ihm nicht entgangen, als er seinen Beruf genannt hatte, doch er hatte sich weiter nichts dabei gedacht und zugesehen, dass er seinen Eintopf in den Ofen schob, um die Haremsdamen nicht noch länger warten zu lassen.«
    Mit einem Mal senkte Johanna ihre Stimme zu einem dramatischen Wispern und fuhr eindringlich fort:
    »Als das Mädchen nach einer Weile ein drittes Mal erschien, hielt es ein kostbares langes Fernrohr in der Hand …«
    Dann hörte sie ganz auf zu sprechen. Alle Augen hingen an ihren Lippen. Auch Gabriel musste zu ihr hinschauen, er konnte nicht anders. Er wusste, dass es besser war, wenn sie ihn nicht bemerkte – denn sie musste sich auf ihre Rolle als Geschichtenerzählerin konzentrieren, und er konnte schon so kaum mehr seine Aufregung zügeln –, aber sein Verlangen, sie zu sehen, war stärker als seine Vernunft. Er reckte den Hals, um über die Köpfe der drei Burschen hinweg einen unverstellten Blick auf sie zu haben.
    Mit einer ihm unendlich sinnlich erscheinenden Geste befestigte Johanna den kleinen Schleier über ihrem Gesicht, griff mit einer Hand hinter ihren Rücken, sodass der bernsteinfarbene Mantel sich leicht über ihrer Brust öffnete, und holte ein Fernrohr hervor. Das Rohr war mit rötlich gelbem Leder bezogen und mit Goldprägungen durchsetzt. Sie schob es ein wenig auseinander und setzte es geübt an ihr Auge. Gemächlich ließ sie das ausgefahrene Rohr über die Menge in dem engen Hof hinweggleiten.
    Gabriel hielt den Atem an. Die Menschen um ihn herum waren mucksmäuschenstill. Die Atmosphäre war zum Zerreißen gespannt. Alle schienen darauf zu warten, dass etwas geschah.
    Und dann geschah tatsächlich etwas – denn plötzlich verharrte das Fernrohr in Johannas Hand an einer Stelle. Alle Köpfe drehten sich in die Richtung um, in die das Ende des langen Rohres zeigte. Doch keiner der Zuschauer konnte etwas Auffälliges an dem Leiterwagen neben dem Schuppen entdecken, auf dem ein paar junge Burschen saßen. Und weil alle auf die jungen Burschen mit den rot angelaufenen Gesichtern starrten, bemerkte niemand, wie ein Beben durch Johannas Körper ging und die cremefarbene Seide ihres Gewandes für einen Moment in Wallung geriet, wie ein See, in den jemand einen Kiesel geworfen hatte.
    Sofort hatte sie sich wieder gefangen. Nur ihre Stimme klang ein wenig tiefer, als sie das Fernrohr schließlich sinken ließ und in ihrer Erzählung fortfuhr. Ausnahmsweise hatte sie den Schleier diesmal nicht

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