Die Kaffeemeisterin
war klar. Aber er hatte die richtige Wahl getroffen, auch daran gab es keinen Zweifel.
Als er Jehudas Laden betrat, war dieser gerade dabei, ein paar schrumpelige Zitronen mit dem Ärmel seines Rockes zu polieren.
»Nun, mein Junge, wo willst du denn hin?«, fragte der Krämer, nachdem sie sich begrüßt hatten.
»Ich bin deinem Rat gefolgt, Jehuda. Ich habe beschlossen, mir von niemandem in mein Leben reinreden zu lassen.«
Jehuda nickte bedächtig. Wieder fiel Gabriel auf, wie sehr der alte Mann nach Mirjams Tod an Gewicht verloren hatte.
»Das hast du richtig gemacht, Gabriel! Deine Eltern sind gute Menschen, aber sie sorgen sich zu sehr um dich. Du bist ja kein kleiner Junge mehr. Und jetzt?«
»Wahrscheinlich kehre ich nach Italien zurück. Erst einmal nach Venedig. Der Maestro wird staunen, wenn ich plötzlich unangekündigt bei ihm vor der Tür stehe. Und vielleicht etwas ärgerlich werden, weil ich nicht auf seine Einladung gewartet habe. Aber er wird mir sicher helfen, Arbeit zu finden, wo auch immer. Irgendetwas wird sich schon auftun, selbst wenn ich nur ein einfacher Musiklehrer bleibe. Hofkapellmeister in einem der italienischen Fürsten- oder Herzogtümer zu werden, in Modena oder Urbino, wäre natürlich noch mal was ganz anderes.«
In Wirklichkeit hatte Gabriel überhaupt keine Pläne für seine Zukunft. Er wollte einfach nur mit Johanna zusammen sein. Er und sie waren füreinander bestimmt. Das wusste auch sie. Lediglich die Gesetze verboten ihre Liebe. Doch manchmal musste man die Gesetze eben umgehen, das hatte Johanna selbst gesagt, damals vor einem Jahr, als sie ihn überredet hatte, als italienischer Geiger in ihrem Kaffeehaus aufzutreten.
»Vielleicht können wir einen Teil des Weges zusammen reisen«, sagte der Krämer versonnen. »Du weißt ja, dass ich schon seit Langem überlege, zu Baruch und Manasse nach Saloniki zu gehen. Ich habe sogar schon angefangen, Ladino zu lernen, die Sprache meiner Vorfahren.«
Er deutete auf das aufgeschlagene Buch auf seinem Verkaufstisch.
»Aber gerne, natürlich!«, versprach Gabriel, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte.
Er lachte leise, als er seinen Geigenkasten und sein Bündel wieder aufnahm und den Krämerladen verließ. Er musste kaum auf den Weg achten, seine Schritte trugen ihn von ganz allein die kurze Strecke bis zur Coffeemühle . Er schaute durch die Fenster des Kaffeehauses in die Gaststube hinein. Sie war zwar erleuchtet, aber dafür war keine Menschenseele zu sehen. Nicht einmal eine der Mägde, geschweige denn Johanna selbst. Wo waren sie denn alle? Das konnte doch nicht sein! Wenn die Coffeemühle geschlossen gewesen wäre, hätte man doch die Läden verrammelt und vor allem keine Leuchten angezündet!
Enttäuschung machte sich in ihm breit. Plötzlich wurde ihm die Waghalsigkeit seines Unterfangens bewusst. Wie naiv er doch gewesen war! Er hatte alles auf eine Karte gesetzt, die Karte Johanna. Sie liebte ihn zwar, da war er sicher. Aber das hieß ja noch lange nicht, dass sie so einfach ihr Leben mit ihm teilen konnte. Warum hatte er nur nicht vorher darüber nachgedacht? Er kam einfach so angelaufen und dachte, nun wäre alles gut … Wie idiotisch von ihm! Natürlich konnte Johanna ihn nicht mit offenen Armen empfangen. Sie hatte schon einmal ihre Gerechtigkeit verloren, weil sie sich mit einem Juden – mit ihm – eingelassen hatte. Letztlich war sie bei der ganzen Geschichte mit einem blauen Auge davongekommen, doch nun lagen die Dinge anders. Es ging um mehr als um den simplen Auftritt eines jüdischen Musikers in einem christlichen Lokal. Eine Liebesbeziehung zwischen einem Juden und einer Christin war strengstens verboten! Sie würden ihre Liebe nicht ewig verstecken können. Und selbst wenn er ein Christ gewesen wäre, hätte die Witwe Berger ihn nicht so einfach in ihrem Haus aufnehmen können, ohne ihren Ruf zu verlieren und damit ihre Existenz als Frankfurter Kaffeehauswirtin und die Zukunft ihrer Töchter aufs Spiel zu setzen. Was sollte er jetzt tun?
Er wusste nicht, wie lange er regungslos vor dem Haus am Markt gestanden und auf die vorbeiziehenden Schleierwolken vor dem dunklen Himmelsgrund gestarrt hatte, wie vor den Kopf geschlagen, all seiner Hoffnungen beraubt, bis er schließlich Schritte und Stimmen hinter sich hörte. Müde drehte er sich um.
D er Bendermeister hielt mit einer Hand das Hoftor auf und winkte seine Frau und seine Tochter hindurch.
»Sie wollen doch sicher auch zu
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