Die Kaffeemeisterin
Hartnäckigkeit anstarrte.
»Was ist los?«, wiederholte Johanna verwirrt. »Wer sind Sie?«
»Ich bin Ännchen Münch, Elisabeth Hoffmanns Nachbarin. Bitte kommen Sie mit mir! Da … da stimmt was nicht«, brachte die Fremde stockend hervor, »nebenan, bei den Hoffmanns, da stimmt was nicht. Sie müssen Elisabeth helfen. Sie sind die Einzige, die das kann!«
Johanna schaute von Ludwig Haldersleben zu Gabriel, der die Szene stumm mitverfolgt hatte. Beide Männer wirkten so, als würden sie keine Sekunde daran zweifeln, dass es der Frau ernst mit ihrem Ansinnen war, auch wenn sie die wahren Gründe für ihr Kommen nur erahnen konnten.
»Johanna, ich begleite Sie!«, sagte der Geiger sofort, der seine Rolle als radebrechender Italiener ganz vergessen zu haben schien. »Ich lasse Sie nicht allein auf die Straße gehen, es ist bald Nacht!«
Johanna schwieg. Sie sah von Ännchen Münch, die offenbar mit den Tränen kämpfte, zu Ludwig Haldersleben, dessen Miene noch ernster geworden war, und dann wieder zu Gabriel. Er stand mit dem Rücken zum Hof, der von den gelben und roten Lampions in einen warmen Schimmer getaucht war, und schaute sie wie gebannt aus seinen dunklen Augen an. Noch hatte offenbar niemand von den Gästen den unerwarteten Besuch und die Unruhe, die er in ihr ausgelöst hatte, bemerkt.
»Nein, es ist besser, ich gehe allein«, erwiderte sie tonlos. »Sie würden sich nur selbst in Gefahr bringen, Gabriel. Sorgen Sie lieber dafür, dass die Stimmung hier nicht umkippt. Spielen Sie, machen Sie Musik, unterhalten Sie die Gäste! Und Sie, Ludwig, passen mir auf die Mädchen auf! Ich bin so schnell es geht wieder zurück.«
9. KAPITEL
D as Anwesen der Hoffmanns wirkte im Dämmerlicht vollkommen verlassen. Zu Johannas Erstaunen war das große grüne Tor zur Straße hin nicht verschlossen. Es quietschte leise, als sie mit Ännchen Münch zusammen den Hof betrat. Die langen Bänke waren gegen die Tische gekippt und deuteten darauf hin, dass die Heckenwirtschaft geschlossen war. Kein Licht brannte im Haus, kein Laut war aus dem Hundezwinger und den anliegenden Ställen zu hören. Laut Ännchen Münch war Gottfried Hoffmann vor zwei Tagen mitsamt den beiden Hunden und dem Bären in seinem alten Karren davongefahren. Sie sei dabei gewesen, ihre Geranien zu gießen, und habe mitbekommen, wie er die Tiere unter lautem Gebrüll auf das klapprige Gefährt gepeitscht habe, hatte sie Johanna erzählt, als die beiden Frauen, gerade noch rechtzeitig, bevor das Fallgitter am Brückentor herabgelassen wurde, die Brücke erreicht hatten. Wie immer habe sie Erleichterung verspürt, als sie seinen brei ten Rücken mit dem Stiernacken von hinten gesehen habe, und sich nur kurz gefragt, wo Elisabeth wohl abgeblieben sei.
»Aber dann habe ich nicht mehr an sie gedacht«, hatte Ännchen Münch mit Tränen in den Augen gekeucht, als sie endlich am anderen Mainufer angelangt waren. »Wissen Sie, ich habe den ganzen Tag so viel um die Ohren, mit unserer Wirtschaft, den drei kleinen Kindern … da bleibt einem kaum Zeit zum Nachdenken.«
Johanna hatte der verhärmten Frau im Laufen nur kurz über den Arm gestrichen und »Es ist nicht Ihre Schuld« gemurmelt; sie wusste schließlich nur zu gut, was es hieß, ein Gasthaus zu führen.
Kein Geräusch drang aus dem Haus nach außen, als sie nun den Türklopfer an der Hoftür betätigte. Nichts. Niemand öffnete. Keine Bewegung war innerhalb des Gebäudes zu vernehmen. Noch einmal ließ sie den schweren Metallring mit dem Bärenkopf gegen die grüne Holztür schlagen. Wieder nichts. Wo war Elisabeth nur? Soweit Johanna von ihrer Familie wusste, war die Freundin seit längerer Zeit nicht mehr in Bornheim gewesen. Es war also eher unwahrscheinlich, dass sie Gottfried Hoffmanns Abwesenheit genutzt hatte, um ihre alten Eltern zu besuchen.
Johanna versuchte zum Küchenfenster hineinzuspähen, aber dichte Spitzengardinen versperrten ihr die Sicht. Wann hatte Elisabeth zum letzten Mal die Fenster geputzt?, fragte sie sich. Das war doch gar nicht ihre Art, ihr Heim derart verkommen zu lassen! Die Scheibe, durch die sie schaute, hatte einen Sprung. Mit einer unguten Vorahnung im Bauch drückte sie die Türklinke hinunter. Abgeschlossen.
»Ich bringe dich um, wenn du so was noch einmal machst!«, hatte Gottfried seiner Frau gedroht, damals, als Elisabeth sie kurz nach Adams Tod vor ihm und seinen Plänen, die Coffeemühle in den Ruin zu treiben, gewarnt hatte. Irgendwie hatte der
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