Die Kaffeemeisterin
und sie war entschieden zu grell geschminkt. Die dunklen Haare trug sie offen und schüttelte sie für Johannas Geschmack ein wenig zu oft. Gabriel hatte sie vorgewarnt, dass Hetti etwas gewöhnungsbedürftig sei, aber nun war sie doch überrascht. Allerdings, wenn sie Justus von Zimmer und die anderen Männer betrachtete, deren Augen sich förmlich an der Gitarristin festgesaugt hatten, war deren auffällige Erscheinung für diesen Abend wohl genau das Richtige.
Johanna schaute sich um. Ein leichter Schwindel hatte sie ergriffen. Vielleicht war es auch eine Art Glückstaumel, sagte sie sich schmunzelnd. Wie froh sie war, dass dieser Tag so gut verlief! Und dass sie vor so vielen Leuten eine Rede gehalten hatte, ohne zu stottern und rot zu werden! Eigentlich hatte sie mit der Einweihungsfeier ja nur für den Salon werben wollen, aber nun hatte sich daraus ein regelrechtes Volksfest entwickelt, das von den unterschiedlichsten Menschen begeistert angenommen wurde. Besser hätte es gar nicht kommen können! Die ganze Last, die sie seit Adams Tod auf ihren Schultern gespürt hatte, war plötzlich von ihr abgefallen. Ihr Blick wanderte von Gabriel, dessen strahlendes Lächeln über seine Geige hinweg für einen winzigen Moment ihr Herz aussetzen ließ, zu seinen ebenso unermüdlich spielenden Musikerkollegen, glitt hinüber zu dem Kartenmacher und dessen Schwester Cornelia, die ihr von ihrem Stammplatz aus freundlich zunickten, bis hin zu den beiden Mädchen Lili und Margarethe. Deren Wangen leuchteten vor Eifer feuerrot, während sie sich kichernd unter den Girlanden wegduckten, die kreuz und quer durch den ganzen Raum gespannt waren. Die Einzigen, die Johanna nicht rundum glücklich erschienen, waren die Billardspieler, die an diesem Tag auf ihr Lieblingsspiel verzichten mussten, war der grün bespannte Tisch doch in den Hof gerückt worden, um darauf das Büfett aufzubauen.
»Lasst uns die Lampions anzünden!«, rief sie Schosch zu und zwängte sich durch die Menschenmenge, um in den Hof zu gelangen.
Wie köstlich das Spanferkel duftete! Es war doch richtig gewesen, dass sie diese Kosten auch noch auf sich genommen hatte, registrierte sie befriedigt.
Schwitzend wendeten die beiden für diesen Tag angeheuerten Bräter den großen Spieß über dem offenen Holzfeuer.
Eine Traube von Menschen drängte sich um den Billardtisch, mit der Absicht, sich die Teller zu füllen. Gebratene Hasen, Hühner, Enten und Wachteln, Sülze, Sauerkraut und Rote Bete, gegrillter Hecht, ein Taubenragout, Maronen in Rahmsauce – tagelang hatte Hannes am Herd gestanden.
Johanna lehnte in der Tür zum Hof und beobachtete, wie Schosch die Lampions aus buntem Papier anzündete. Sie wusste nicht, wie lange sie schon dort gestanden und ein wenig verschnauft hatte, die Arme schwer in die Hüften gestützt, als von hinten jemand an sie herantrat und ihr sacht über den Rücken strich. Ein sanftes Streicheln, vielleicht auch nur eine rein zufällige Berührung. Noch bevor sie sich umwandte, wusste sie, wer da so dicht hinter ihr stand.
»Was für ein schöner Tag, Johanna!«, sagte Gabriel Stern leise in ihr Ohr.
Er musste seinen Samtrock ausgezogen haben, denn sie konnte die Wärme seiner Haut durch den Stoff seines Hemdes spüren. Sie drehte leicht den Kopf und erschauderte, als seine Lippen ihr Ohrläppchen berührten. Instinktiv schloss sie die Augen.
»Johanna …«
Nun war die Berührung keinesfalls mehr zufällig. Sie fühlte, wie er sich von hinten gegen sie drückte, wie sein Mund ihren Hals suchte, und wie ein Lavastrom breitete sich die Wärme in ihrem Inneren aus. Was tat er da? Johanna hielt den Atem an. War er verrückt geworden? Sie wollte etwas sagen, sich von ihm lösen, doch sie war unfähig, sich zu bewegen. Ein vollkommen neues, unbekanntes Gefühl hielt sie gefangen.
»Frau Johanna, endlich habe ich Sie gefunden!«
Ludwig Haldersleben hatte seine Uniformjacke und seine Perücke abgelegt und sah mit einem Mal viel jünger aus. Sein Gesicht war verschwitzt, als hätte er sich beim Tanzen verausgabt, doch sein Blick war ernst und ein wenig verwundert, als er sie so vertraut mit dem italienischen Musiker zusammenstehen sah.
»Was ist los?«, fragte sie sofort alarmiert und trat einen Schritt vor.
»Frau Johanna, Sie müssen mit mir kommen!«
Erst in dem Moment bemerkte sie die etwas verhärmt wirkende Frau mit der vergilbten Haube, die neben Ludwig Haldersleben stand und sie in einer Mischung aus Angst und
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