Die Kaffeemeisterin
Immer noch stoßweise atmend, lehnte sich die Freundin gegen den Küchentisch. Erst jetzt fiel Johanna auf, dass ihr rechter Arm merkwürdig verdreht war.
»Um Gottes willen!«, stieß Martin Münch hervor. »Was hat dieser Dreckskerl nur mit dir angerichtet?«
»Lasst uns schnell zu uns rübergehen, bevor er zurückkommt«, schlug Ännchen vor.
Elisabeth hatte sich über eine Schale Wasser gebeugt und trank in gierigen Schlucken.
»Der bringt uns alle um, wenn er uns findet«, sagte Martin Münch nachdenklich.
»Du kommst mit zu mir!«, verkündete Johanna resolut.
Elisabeth nickte mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»Das wird das Beste sein«, stimmte der Heckenwirt erleichtert zu. »Aber erst sollten wir die Truhe wieder auf die Luke rücken, damit Gottfried nicht sofort Bescheid weiß, dass seine Frau aus ihrem Gefängnis befreit wurde«, fügte er hinzu.
Mit drei Schritten war er bei der Falltür und klappte sie mit einem dumpfen Knall zu. Johanna war ihm gefolgt und presste ihren Körper gegen die Truhe. Martin Münch tat es ihr nach, und wenig später stand das schwere Möbel an seinem alten Platz. Ännchen legte noch ein paar Eisengewichte hinein, die sie in einer Ecke der Küche neben einer großen Waage aufgestapelt gesehen hatte.
»So ist sie noch schwerer«, sagte sie befriedigt, als die anderen sie fragend anblickten.
»Aber was ist mit der Brücke?«, kam es Johanna schlagartig in den Sinn. »Wie sollen wir auf die andere Mainseite kommen, ohne die Wächter zu alarmieren? Nachher verraten sie uns an Gottfried. Wir können Elisabeth gar nicht zu mir nach Hause bringen!«
Sie spürte, wie ihre alte Mutlosigkeit sie überfiel. Nicht nur, dass sie Elisabeth so schnell wie möglich von hier fortbringen musste, bevor Gottfried Hoffmann heimkam, nein, sie war ja auch in der Coffeemühle dringend gefragt! Bestimmt hatten ihre Gäste schon längst ihre Abwesenheit bemerkt und sich gewundert, warum ausgerechnet die Wirtin als Erste ihr rauschendes Fest verlassen hatte. Und dann war da noch Gabriel … Wenn man sie zusammen gesehen hatte, in der Tür zum Hof, oder sonst wie auf seine wahre Identität gekommen war – nicht auszudenken, was dann alles geschehen mochte! Ob sie zu viel verraten hatte, als sie bei ihrem überstürzten Aufbruch zu ihm gesagt hatte, er würde sich nur selbst gefährden, wenn er sie begleitete? Die Worte waren ihr einfach so herausgerutscht, obwohl Ludwig Haldersleben und Ännchen Münch neben ihr gestanden und alles hatten mit anhören können. Ob die beiden sich ihren Reim darauf gemacht hatten? Und jetzt war sie nicht da, um helfend einzuschreiten, falls Gabriel Unterstützung benötigte … Wenn sie allerdings nicht wollte, dass die Wächter die halbe Stadt von Elisabeths Befreiung unterrichteten, würde sie noch eine ganze Nacht hier in Sachsenhausen verbringen müssen. Und zwar mit einer schwer verletzten Frau an ihrer Seite, die von ihrem unzurechnungsfähigen Ehemann bestimmt sofort totgeprügelt werden würde, sollte er entdecken, dass sie aus ihrem Verlies ausgebrochen war. Und sie, seine alte Feindin Johanna Berger, würde er garantiert gleich mit beseitigen.
»Ich bringe Sie mit dem Boot rüber«, beeilte sich Martin Münch zu sagen, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Ich weiß eine Stelle am Ufer, wo man uns durchlassen wird. Und das Fahrtor drüben ist vielleicht noch offen. Aber lassen Sie uns schnell machen – jede Minute, die wir verlieren, ist eine Minute für Gottfried Hoffmann.«
Johanna unterdrückte die Bemerkung, dass sie eigentlich furchtbare Angst vor Wasser hatte. Gewöhnlich vermied sie es, mit dem Boot über den Main zu fahren. Doch es gab eben Situationen, in denen es keine andere Möglichkeit gab, und dies war ganz eindeutig eine solche.
Rasch hatten sie Elisabeth, deren Gesicht und Kleidung Ännchen noch notdürftig mit einem Lappen gesäubert hatte, flach auf einen Karren gelegt und mit leeren Säcken zugedeckt. So war zumindest nicht sofort ersichtlich, dass sie einen Menschen aus Sachsenhausen hinausschmuggeln wollten. Schweigend trottete Johanna hinter Martin Münch her, der den Karren mit Elisabeth bis zum Flussufer hinunterzog. Der Abschied von Ännchen war wortkarg, aber herzlich gewesen. Auch Elisabeth, die schon in ihrem Karren lag, hatte ihrer Nachbarin lange die Hand gehalten und immer wieder mit schwacher Stimme ein inniges »Danke« gewispert, bis Martin Münch schließlich einfach losgezuckelt war und seine Frau
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