Die Kaffeemeisterin
so üppig wie früher, durchfuhr es sie in einem Anflug von Galgenhumor. Wie wohl Gottfried mit seiner stämmigen Figur zwischen den Fässern hindurchgepasst hatte? Aber vielleicht hatte er das gar nicht, überlegte sie dann, wahrscheinlich war der Weg noch frei gewesen, als er Elisabeth in ihr Verlies gebracht hatte, und er hatte das Gerümpel erst später in den Gang geschoben. Um den Weg zu versperren. Damit seine Frau nicht aus ihrem Grab entkommen konnte.
Elisabeth war vor ihr stehen geblieben und rang nach Luft.
»Was ist?«
»Ich muss mich einen Moment ausruhen.«
Sie klammerte sich zu jeder Seite an einem Fass fest. Johanna legte eine Hand unter die Achsel der Freundin, um sie zu stützen, in der anderen hielt sie weiterhin die Laterne.
Oben aus der Küche war plötzlich Stimmengemurmel zu hören. Johanna war für einen Moment abgelenkt. Zu spät bemerkte sie, dass Elisabeth schwankte. Wie ein nasser Sack brach sie geräuschlos zwischen den Fässern zusammen.
»O Gott!«, stöhnte Johanna. Elisabeth würde doch jetzt nicht etwa ohnmächtig werden!
Sie beugte sich über die Gefallene und packte sie mit beiden Händen unter den Schultern. Mühsam hievte sie die Freundin von hinten erst auf die Knie, dann auf die Füße. Den einen Arm um Elisabeths Brust geschlungen, griff sie mit der anderen Hand nach der Laterne, die sie auf einem Fass abgestellt hatte.
»Hier, nimm die Laterne, damit ich die Hände frei habe und dich stützen kann! Aber nicht fallen lassen, hörst du?«
Johanna hatte mit fester, energischer Stimme gesprochen. In Wirklichkeit war ihr ganz anders zumute. Doch sie wollte Elisabeth nicht merken lassen, dass auch sie allmählich am Ende ih rer Kräfte angelangt war. Sie mussten hier raus, so schnell es ir gend ging.
Die Stimmen aus der Küche kamen näher. Es klang nach einem heftigen Wortwechsel. Zwischen einer Frau – Ännchen – und einem Mann. Gottfried!
Halt ihn auf, so lange du kannst!, feuerte Johanna in Gedanken die Nachbarsfrau an. Sie wusste nicht, was sie Ännchen Münch zutrauen konnte. Jeden Moment rechnete sie damit, dass die Falltür von außen heruntergeklappt wurde und sie und Elisabeth in dem dunklen Keller eingesperrt wären. Würde Ännchen zur Polizei gehen? Ihren Mann informieren? Die Frau hatte einen rechtschaffenen Eindruck auf sie gemacht. Ein wenig verhuscht, aber anständig und ehrlich besorgt um Elisabeth. Immerhin hatte sie sich auf den langen Weg von Sachsenhausen bis zur Coffeemühle gemacht, um Hilfe zu holen – ihre, Johannas Hilfe. Aber Gottfried hatte seine Methoden, wie er auch rechtschaffene Menschen unter Druck setzen konnte …
»Sie sind da unten«, hörte sie Ännchen jetzt sagen.
Aber warum erzählte sie ihm das? War sie doch eine feige Verräterin, die ihre Nachbarin und deren Freundin dem sicheren Tod aussetzte?
Dann sagte eine Männerstimme, die Johanna zwar bekannt vorkam, die aber eindeutig nicht die Stimme von Gottfried Hoffmann war:
»Gib mir die Laterne! Ich gehe runter.«
»Das ist Ännchens Mann«, schluchzte Elisabeth vor Erleichterung auf.
Mit eingeknickten Knien stolperte sie wieder einen Schritt weiter durch das Fässerlabyrinth voran.
»Hier entlang!«, dirigierte Johanna sie dem Licht entgegen.
»Wo sind Sie?«, rief Ännchens Mann vom Fuß der Leiter aus.
»Wir sind hier, Martin!«
Gestützt von Johanna schob sich Elisabeth zwischen den Fässern hindurch auf den breiteren Gang hinaus.
Für einen Moment war Johanna sprachlos, als sie in dem fahlen Licht, das von der geöffneten Luke in den Keller herabfiel, den blonden Hünen erkannte, der seit einiger Zeit regelmäßig bei ihr Kaffee trank. Auch ihr Fest hatte er besucht, erinnerte sie sich. Hatte er etwa mitbekommen, dass seine Frau sie in der Coffeemühle aufgesucht hatte? Warum hatte er dann nichts gesagt und war gleich mit ihnen gegangen?
»Was machen Sie denn hier?«, stammelte sie.
»Ihr kennt euch?«, fragte Elisabeth.
Ohne zu antworten drückte Martin Münch Johanna seine Laterne in die Hand, packte Elisabeth und warf sie sich kopfüber wie einen Sack über die Schulter.
»Ja, wir kennen uns«, murmelte er dann und begann schwerfällig mit seiner Last die Leiter zu erklimmen.
Von oben griff Ännchen Elisabeth beherzt an den Hüften und zog sie rücklings durch die Luke hinauf.
Als sie sich endlich alle gemeinsam in der Küche befanden, sah Johanna, dass Elisabeths Kleidung nur noch in Fetzen an ihr herunterhing. Ihr ganzes Gesicht war voller Schorf.
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