Die Kaffeemeisterin
tränenüberströmt und heftig winkend zurückgelassen hatte.
Der Mond leuchtete ihnen den Weg, als sie endlich die Anlegestelle unweit der Brücke erreichten. Gemeinsam wuchteten Martin Münch und Johanna die kaum mehr als einen Sack Äpfel wiegende Elisabeth auf den Kahn, der in dem seichten Uferwasser vor sich hin dümpelte. Zu schwach, um aufrecht auf der schmalen Holzbank in der Mitte des Bootes zu sitzen, wurde Elisabeth auf den Boden des Bootes gebettet, nachdem Martin Münch die Querlatte einfach abgenommen hatte. Wortlos ergriff er die Ruder, legte sie in die Dollen und tauchte die Blätter ins Wasser. Johanna, die das Boot vom Ufer abgestoßen hatte, sprang mit einem Satz hinterher.
Der Heckenwirt holte kräftig aus. Schon nach wenigen Minuten erreichten sie den Frankfurter Hafen. Ein paar Fischer wuselten mit ihren Nachen um sie herum und erhoben grüßend ihre Ruder. Dunkel ragte der mächtige Uferkran über der Mole auf. Während Johanna das Boot am Kai vertäute, zog Martin Münch die halb bewusstlose Elisabeth aus dem Boot und nahm sie umständlich auf den Rücken.
Johanna lief die wenigen Schritte zum Fahrtor voraus. Wie Martin Münch gesagt hatte, ließen die Wächter sie anstandslos passieren. Schnell hatten sie die Langschirne erreicht. Schon von Weitem war der Radau zu hören, der aus Richtung der Coffeemühle kam. Doch erst, als sie das Ende der Gasse erreicht hatten, wurde Johanna die entsetzliche Bedeutung des Getöses bewusst.
10. KAPITEL
E in riesiger Menschenauflauf hatte sich auf der Kreuzung Langschirne-Markt gebildet. Sogar bis zum Hühnermarkt hinauf standen die Schaulustigen, um in Erfahrung zu bringen, was es mit dem ohrenbetäubenden Krach, der aus einem der Häuser drang, auf sich hatte. Johannas dunkle Vorahnungen bestätigten sich, als sie die neugierigen Blicke der Gaffer verfolgte, die sogar aus den Fenstern hingen, um besser sehen zu können. Alle waren sie auf die Coffeemühle gerichtet.
Johanna setzte ihre Ellbogen ein, um sich und dem ihr nachfolgenden Martin Münch mit der reglosen Elisabeth auf dem Rücken eine Schneise durch die Menge zu bahnen.
»Schneller!«, rief sie dem Sachsenhäuser zu und trat einem Mann, der ihr nicht aus dem Weg gehen wollte, mit voller Wucht in die Hacken.
»Aua!«, brüllte der Mann empört und drehte sich zu dem Übeltäter um, der ihn so brutal attackiert hatte.
Aber Johanna hatte sich schon weiter vorangedrängt, sodass der Mann sich direkt gegenüber dem hünenhaften Martin Münch befand und seine Rachegelüste sogleich unterdrückte.
Von seinem Aufschrei war Elisabeth aus ihrem Dämmerzustand gerissen worden.
»Was ist denn, Hanne?«, fragte sie mit dünner Stimme unter dem Apfelsack hervor, den die Freundin ihr übergeworfen hatte, damit man sie nicht sofort erkannte.
»Eine Prügelei«, antwortete Johanna kurz angebunden.
»Das ist sicher Gottfried!«
Elisabeth schob den Sack ein Stück zur Seite, sodass sie die Szene überblicken konnte. Ihr Gesicht war kalkweiß und schmerzverzerrt.
»Gleich holen wir den Doktor, der sich um deine Schulter kümmern wird«, sagte Johanna beruhigend. »Diese ganzen Leute hier werden schon nichts zu bedeuten haben. Sicher nur eine Rangelei unter den Gästen und ein paar Neugierige, die sich das anschauen wollen«, wiegelte sie Elisabeths Befürchtungen ab.
Doch je näher sie dem Eckhaus kamen, in dem die Coffeemühle lag, desto klarer wurde, dass die Geräusche von zersplitterndem Holz und klirrendem Glas, die Wut- und Schmerzensschreie, die aus dem Gebäude nach draußen drangen, weit über das hinausgingen, was eine gewöhnliche Wirtshausschlägerei angerichtet hätte.
»Elisabeth hat recht, das ist sicher Gottfried«, sagte nun auch Martin Münch, dem die Angst ebenfalls ins Gesicht geschrieben stand. »Wir drehen besser um. Wenn er Elisabeth und mich hier sieht, wird er einen Tobsuchtsanfall bekommen.«
»Nein, ihr wartet hier! Ich hole Hilfe«, entgegnete Johanna in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Die Gewürzkrämerwitwe im Haus neben den Halderslebens hatte sich ein Kissen auf die Fensterbank gelegt und die spitzen Ellenbogen daraufgestützt. Von ihrem Ausguck erspähte sie Johanna als Erste und brüllte quer über die Gasse hinweg:
»Da ist sie! Die Bergerin ist wieder da!«
Seit Henriette Schley mitbekommen hatte, dass Johanna Geschäfte mit Jehuda ben Abraham machte, redeten die beiden Frauen nicht mehr miteinander. »Sie wissen doch, dass es den Juden verboten ist,
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