Die Kaffeemeisterin
Neapolitaner hatte sie nur stumm angesehen. Seine Miene war finster gewesen, als er endlich wie unter Widerwillen den Mund aufgemacht hatte.
»Dein Conte ist ein Scharlatan, weil er dich gefragt hat, ob du ihn heiraten willst, obwohl er eine Ehefrau hat! Und zwar seit zwanzig Jahren schon. Eine gewisse Marchesa Carlotta Contarini. Vielleicht hast du den Namen Contarini schon mal gehört – Generationen von Dogen sind aus dieser Familie hervorgegangen. Was meinst du wohl, wie dein Andrea an sein hohes Amt gekommen ist?« Marcello hatte höhnisch aufgelacht und, ohne auf ihr entgeistertes Gesicht zu achten, weitergesprochen. »Die Marchesa war eine sehr schöne Frau, als der Conte sie geheiratet hat. Vielleicht ein bisschen einfältig und nicht mehr ganz jung, aber das schien ihn damals nicht zu stören. Sie war reich und kam aus einer mächtigen Familie, das zählte. Aber dann ist sie übergeschnappt, kurz nachdem sie eine Totgeburt hatte. Seit damals lebt sie vollkommen zurückgezogen in einem Seitenflügel des Palazzo, wo auch der Conte noch heute wohnt – und in dem du, soweit ich weiß, wochenlang ein und aus gegangen bist.« Er hatte sich vorgebeugt und ihr mit seinem Zeigefinger auf einen Punkt unterhalb ihres Schlüsselbeins getippt. »Und ich sage dir was: Scheiden lassen hätte der Conte sich nie im Leben von seiner Frau! Das wäre gar nicht gegangen, aus vielen Gründen nicht. Also, was meinst du wohl, was er getan hätte, um frei zu sein für dich?«
Johanna hatte ihn mit weit aufgerissenen Augen angestarrt. Sie hatte etwas sagen wollen, aber nicht ein Ton war ihrer Kehle entwichen.
»Ich weiß, wozu dieser Mann in der Lage ist, cara mi a ! Glaub mir, ich hab’s am eigenen Leibe erlebt. Verbring du mal vier Wochen in Einzelhaft in den pozzi , dem berühmtesten Kerkerloch von Venedig! Von den Leuten der Quarantina criminal , die mich da unten ausgequetscht haben, weil sie meinten, ich wäre ein Spion im Dienste der Osmanen, war dein Conte mit Abstand der grausamste. Un vero sadista! Hier, guck dir das an!«
Er hatte sein Hemd hochgehoben und ihr eine lange gezackte Narbe gezeigt, die sich über seine ganze Flanke hinwegzog. Johanna hatte sofort den Blick wieder abgewandt und war, ohne ein Wort zu sagen, hinaus in den Regen gelaufen.
»In Konstantinopel könntest du bei meiner Freundin Fatma in die Lehre gehen und vielleicht sogar bei der alten Aglaia. Niemand kann einen solchen Kaffee kochen wie die Kaffeemeisterin des Sultans!«, hatte Marcello ihr nachgerufen, untermalt von Plutos leisem Winseln, der offenbar mitbekommen hatte, dass irgendetwas nicht stimmte.
Johanna wusste nicht mehr, wie lange sie durch die verregneten Gassen Venedigs geirrt war, die ganze Zeit gegen ihre aufsteigende Übelkeit ankämpfend, aber am Ende hatte ihr Entschluss festgestanden: Sie würde keinen Tag länger als nötig in dieser Stadt bleiben. Marcello hatte recht; bei den Francesconis hatte sie nichts mehr zu gewinnen, und Andrea Giustinian wollte sie in ihrem Leben nicht mehr unter die Augen treten. Selbst wenn nur die Hälfte von dem stimmte, was der Neapolitaner ihr über den Conte erzählt hatte – dies war nicht der Mann, von dem sie geliebt werden wollte. Wie konnte ich nur so naiv sein?, hatte sie sich gefragt und in die trübe Brühe unter der Ponte Rialto gestarrt. »La mia Venere« , hatte der Conte sie genannt, als sie sich ihm das erste Mal hingegeben hatte. Und tatsächlich war sie sich wie eine Venus in seinen Armen vorgekommen. Endlich hatte sie begriffen, wovon Elisabeth und auch Ludwig Haldersleben gesprochen hatten, endlich hatte sie die Leidenschaft kennengelernt. Und doch waren die Gefühle, die sie dem Conte gegenüber gehegt hatte, andere gewesen als die gegenüber Gabriel. Doch was wusste sie schon von der Liebe? Nichts, wie sie sich wieder einmal eingestehen musste. Die Liebe war eine Schimäre! Hatte nicht Andrea selbst gesagt, in Venedig sei alles Lug und Trug? Ob er damit wohl auch sich selbst gemeint hatte?
Wütend hatte sie in den Canal Grande gespuckt und sich an die letzten Sätze des Zauberers unter den portici erinnert, an den Klang, den seine Worte »Kaffeemeisterin des Sultans« in ihren Ohren hinterlassen hatten. Sie war zu aufgelöst gewesen, um ihre Bedeutung wirklich zu erfassen, aber nun, da sie sich ein wenig beruhigt hatte, wollten sie ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wenn sie schon in der Liebe kein Glück hatte, so blieb ihr immerhin noch ihr Beruf, hatte sie gedacht.
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