Die Kaffeemeisterin
Ja, aus dem Grund war sie doch auch nach Venedig gekommen – um bei Floriano Francesconi ihre Kenntnisse in der Kunst der Kaffeezubereitung zu vertiefen. Und um Geld zu verdienen, natürlich, das auch, was ihr allerdings weniger gut gelungen war. Doch das hatte nicht an ihr, sondern an Floriano und seiner Spielsucht gelegen. Wie man im Caffè Florian , dem ersten Haus am Platz, Kaffee zubereitete, das indes hatte er sie wahrlich gelehrt. Aber nun konnte er ihr nichts mehr beibringen, sie wusste alles, was er auch wusste. Doch diese Fatma und erst recht die Kaffeemeisterin des Sultans – wie war noch ihr Name gewesen, was hatte Marcello gesagt: »die alte Aglaia«? –, von diesen beiden konnte sie bestimmt noch etwas Neues lernen.
Als sie ziemlich durchnässt ins Caffè Florian zurückgekehrt war, hatte Marcello an dem Fenstertisch gesessen, an dem sonst immer der Conte saß. Er hatte ihr einen fragenden Blick zugeworfen, und sie hatte ihm ebenso schweigend zugenickt. Dann war sie zu Floriano und Giuseppina gegangen und hatten ihnen ihren Entschluss mitgeteilt, sie zu verlassen und sich zusammen mit dem Zauberer nach Konstantinopel einzuschiffen. »Marcello will mich der Kaffeemeisterin des Sultans vorstellen«, hatte sie ihren Freunden erklärt, »das versteht ihr doch, dass ich mir diese Chance nicht entgehen lassen kann …«
Peng! Peng! Peng!
Johanna hielt sich die Ohren zu, als die Fregatte eine ganze Serie von Böllerschüssen abgab, die von der weißen Festung am gegenüberliegenden Ufer mit einem ebenso krachenden Geballer beantwortet wurden. Und dann tauchte hinter den starken Befestigungsmauern die Silhouette der Stadt auf. Die größte Stadt der Welt, wie Marcello ihr erzählt hatte. Zwanzigmal so groß wie Frankfurt!
Sie beobachtete das erneut einsetzende Ballett in den Masten, als die Segel eingeholt und kurz darauf die Anker ausgeworfen wurden. Schon waren sie von Hunderten kleiner Boote umschwärmt, die Waren anboten oder sich als Transportmittel bereithielten.
Johanna kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Welch großartige Kulisse! Die unzähligen Schiffe im Hafen, die vielen Kutschen und Sänften, die blökenden Kamele und Esel, die be- oder entladen wurden, das Gewimmel von exotisch aussehenden Menschen. Dahinter die riesige Stadt, aus der überall schlanke Minarette herausragten. Gleich am Kai stürzte eine ganze Schar von Händlern auf sie zu und ließ einen unverständlichen Schwall Wörter auf sie niederregnen.
Nachdem sie die Einreiseformalitäten hinter sich gebracht hatten, mietete Marcello einen Karren, der ihr Gepäck zur Goldenen Kaffeetasse im Stadtteil Eminönü bringen sollte. Immer wieder mussten sie auf Pluto warten, der die vor den Holzhäusern herumliegenden Hunde auf dem Weg begrüßte.
Die Goldene Kaffeetasse lag zwischen einem dampfenden Hamam und einem Barbierladen. Fatma, die Wirtin, war eine zum Islam übergetretene Serbin. Die Schwester des Sultans hatte Fatma nach mehr als dreißig Dienstjahren aus der Sklaverei in die Freiheit entlassen. Sie war klein und pummelig, eine Frau in mittleren Jahren, die schon ein wenig nach vorn gebeugt lief. Ganz in Schwarz gekleidet, zeigte sie nur ihr Gesicht und ihre Hände. Außer den blitzenden schwarzen Augen fand Johanna nichts an ihr sonderlich bemerkenswert. Doch dem verklärten Lächeln nach zu schließen, das Marcellos zerfurchtes Gesicht bei der Begrüßung in zwei ungleiche Hälften spaltete, musste sie in seinem Leben eine wichtige Rolle spielen.
» Merhaba , willkommen in İstanbul!«, sagte Fatma immer wieder, während sie Johanna in ihrem Kaffeehaus herumführte und sie ihrem Gehilfen Rifat und dem für den Abend angeheuerten Märchenerzähler Fuad vorstellte.
Entlang der vier Wände des Lokals standen mit Teppichen ausgelegte Holzbänke. Der Boden war mit Ziegeln gepflastert. In der Mitte des Raumes stand ein Dreifuß mit einem Kohlenbecken. An einer Wand hing ein großes Regal mit Geschirr und mehreren Wasserpfeifen, die drei anderen Wände waren gekachelt und mit Koranversen verziert. Von der Decke hing eine üppige Lampe herab, und in einer Ecke stand ein ebenfalls gekachelter Herd. In einer anderen Ecke saßen zwei Männer mit Turbanen auf den Köpfen und langen Kaftanen, die Zeitung lasen. Ein Joghurtmacher und der Professor der gegenüberliegenden Medrese, wie Fatma erklärte. Eine kleine Tür führte in den Innenhof des Gebäudes, wo ein plätschernder Springbrunnen den Besucher in eine andere Welt
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