Die Kaiser des Mittelalters - von Karl dem Großen bis Maximilian I.
Böhmen. Unter Balduins Führung wählten fünf der sieben Kurfürsten am 11. Juli 1346 Karl IV. (1346–1378) zum neuen König. Die Krönung erfolgte in Bonn. Wer Könige wählen durfte, der durfte sie auch verlassen – so ließe sich das kurfürstliche Selbstbewusstsein in einem korporativ strukturierten Reich definieren. Ludwig IV., mit 64 Jahren zum «Gegenkönig» geworden, nahm den Kampf um die Krone auf. Aber schon am 11. Oktober 1347 fand er den Tod. Vermutlich ein Herzinfarkt ließ ihn auf einer Jagd bei Fürstenfeldbruck vom Pferd stürzen. Ohne geistliche Wegbegleitung und Tröstung starb er im Kirchenbann. Trotzig bestatteten ihn seine Anhänger in der Frauenkirche seiner Residenzstadt München. Später zur Kathedrale geworden, beherbergt sie bis heute das prächtige Grabmal des schillernden Bayern.
Jetzt nahm Karls unangefochtenes Königtum seinen Lauf. Der Luxemburger, König von Böhmen, römischer König (1346), König von Italien (1355) und König von Burgund (1365), erreichteim Besitz von vier Königskronen noch einmal eine Kaiserwürde, die sich mit den großen Vorgängern messen konnte. Späteren galt er als «Vater Böhmens und Stiefvater des Imperiums». Aber dieses Urteil verkannte die Notwendigkeiten spätmittelalterlicher Herrschaft, die sich das Reich aus dynastischen Fundamenten erwerben musste. Diese fand Karl IV. – trotz seiner Erziehung in Paris und trotz anhaltender Verbundenheit mit Luxemburg – eindeutig in Böhmen und im weiteren Ostmitteleuropa. Der Taufname Wenzel und der neue Name Karl, den der böhmische Königssohn vom Firmpaten Karl IV. von Frankreich empfing, zeigen die Verknüpfungen von West und Ost an. In Böhmen gelang dem neuen König und Kaiser die Gestaltung eines einzigartigen Herrschaftsverbunds. 1348 begründete er in Prag nach französischem Vorbild die erste Universität im Reich. Ein solcher Kulturtransfer sollte allerlei Nachahmer finden. Die Krone Böhmens erfuhr in seiner frühen Königsherrschaft Präzisierung wie Modernisierung nach westlichen Vorbildern. Im gotischen Neubau des Prager Veitsdoms, steinerne Verkörperung imperialen Gestaltungswillens, verschmolz die luxemburgische Dynastie mit der böhmischen Geschichte. Hier schuf Karl für sich und seinen Sohn Wenzel die angemessene Grablege.
In der Weihnachtsmesse 1347 offenbarte Karl IV. erstmals seine heilsgeschichtliche Auffassung vom römischen Königtum. Mit hochgerecktem blankem Schwert las er laut die biblische Geschichte von der Geburt Jesu Christi: «Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde» (Luk. 2, 1). Im Ritual der herrscherlichen Evangelienlesung trat das römische Kaisertum als Voraussetzung für die Fleischwerdung des Herrn und für die Entstehung der Kirche hervor.
Seine Wahl hatte der Luxemburger ganz wesentlich der Unterstützung Papst Clemens’ VI. (1342–1352) verdankt. 1349 setzte sich Karl IV. gegen seinen letzten Widersacher Günther von Schwarzburg durch. Der Gegenkönig verzichtete auf seine Ansprüche, starb alsbald und fand im Frankfurter Stift St. Bartholomäus sein Grab, der Wahlkirche der römischen Könige.Zur Bekräftigung seiner Macht ließ sich Karl nochmals 1349 in Aachen zum König krönen.
Schrille Gegensätze markierten das erste Jahrzehnt von Karls Herrschaft. Grausame Erfahrungen von Pest und Naturkatastrophen, von Judenmorden und Geißlerzügen hielten Europa 1348 in Atem. Gegen diese Erschütterungen der Welt glückte in der Kaiserkrönung von 1355 und im Regelungswerk der «Goldenen Bulle» von 1356 die grundlegende Ordnungsleistung für die Zukunft des Reichs. Karls Profile changierten, zwischen ekstatischer Frömmigkeit und skrupelloser Nutzung aller fiskalischer Ressourcen. Sie gipfelte in der gezielten Auslieferung der ihm Schutz befohlenen Judengemeinden an ihre bürgerlichen Mörder. Über den Trümmern der Synagoge entstand in Nürnberg wie andernorts auch eine Marienkirche. Dieser Bau symbolisierte den blutigen Sieg des Neuen über den Alten Bund und wurde als Schrein des Reichs mit den Zeichen von Königtum und Kurfürsten geschmückt. Als Reliquiensammler berüchtigt, baute Karl IV. die Kapelle seiner Burg Karlstein zur kostbaren Hülle heiliger Gebeine aus. In der Erweiterung der Aachener Marienkirche wie in der Stiftung kostbarer Behältnisse für die sterblichen Überreste Karls des Großen bekräftigte er die imperialen Traditionslinien zu seinem Namensvetter.
Weitere Kostenlose Bücher