Die Kaiser des Mittelalters - von Karl dem Großen bis Maximilian I.
gemeinsamen Körper
(corpus).
Die Ansprüche des Papsttums an der römischen Königswahl blieben gänzlich ausgeklammert. Nirgends wurde der Papst erwähnt, eine zukunftsträchtige Konfliktlösung durch bloßes Verschweigen. Die «Goldene Bulle» regelte die «Wahl des Königs der Römer, der zum Kaiser erhoben werden soll». Er war das zeitliche Oberhaupt der Welt und des Christenvolks.
In der Praxis handhabte Karl IV. dieses Weltkaisertum so flexibel, dass es der Welt erträglich wurde. Die politische Theorie hatte eine solche Praxis gut vorbereitet. Lupold von Bebenburg († 1363), in Bologna ausgebildeter Kirchenrechtler und Bischof von Bamberg, stellte in seinem Traktat über die Rechte von König- und Kaisertum zwar mutig die fränkische Kaisergeschichte für die deutsche Nationalgeschichte in Dienst. Herrschaftsanspruch und Herrschaftsrecht des römischen Königsoder Kaisers standen aber nicht über den Rechten der europäischen Könige, sondern waren ihnen gleich geordnet. Zwar kannte die Kanonistik die Idee kaiserlicher Herrschaft über die ganze Welt, doch gestaltete Lupold diesen Gedanken ganz undeutlich aus. Dem hohen Anspruch des Kaisers entsprach kein Zuwachs an faktischer Kompetenz, ein realistischer Brückenschlag von juristischem Denkspiel und politischer Machbarkeit. Wenig später beharrte Konrad von Megenberg dagegen hartnäckig auf der kaiserlichen Herrschaft über die Welt. Der Gelehrte ließ freilich offen, welche Welt er meinte. So brach das vermittelnde Denken im Sinne Lupolds Bahn für ein lebensnahes Zusammenwirken von formulierten Ansprüchen und gelebten Wirklichkeiten.
Ihre Nagelprobe bestand die internationale Belastbarkeit des Kaisertums in der letzten großen Reise Karls IV. mit seinem Sohn König Wenzel 1377/78 nach Frankreich. Es war eine Rückkehr an die Orte der Jugend und ein Verwandtschaftstreffen mit König Karl V. von Frankreich (1364–1380) und seiner Familie. Die prächtigen französischen Bilderchroniken fingen weniger den diplomatischen Nutzen als die Zeichenhaftigkeit des zeremoniellen Umgangs ein. Gesten unglaublicher körperlicher Vertrautheit bei der Begegnung des Kaisers mit der französischen Königin mischten sich mit der Inszenierung von Souveränität. Mühsam hielten die französischen Gastgeber den Kaiser von einem Grenzübertritt vor dem Weihnachtsfest ab. Seine Evangelienlesung mit blank gezogenem Schwert musste Karl IV. darum in der Kathedrale von Cambrai halten, der westlichsten Bischofskirche seines Reichs. Beim Treffen mit dem französischen König trennte sich der Kaiser von seinem Schimmel, dem Symbol des Souveräns. In Frankreich stand das weiße Pferd allein dem französischen König zu. Das mit Wappendecken verhängte Gastpferd des Kaisers lässt bei genauer Betrachtung einer späteren Miniatur schwarze Beine erkennen. So erinnerte man das Herrschertreffen als Schauplatz der Gleichrangigkeit des französischen Königs mit dem Kaiser. Karl IV. musste seinem Gastgeber in Paris die vornehmere Würde überlassen.
Als Karl IV. am 29. November 1378 starb, inszenierten mehrtägige Bestattungsfeierlichkeiten noch einmal die bewährte kaiserliche Repräsentationskunst. Die Nachfolge des ältesten Sohns Wenzel war bereits gesichert. Schon als zweijähriges Kleinkind 1363 zum böhmischen König erhoben, hatte der kaiserliche Vater von den Kurfürsten 1376 die Wahl Wenzels zum römischen König erkauft. Es war die erste allgemein anerkannte direkte Sohnesfolge im römisch-deutschen Reich seit 1190; bis 1493 sollte es auch die letzte bleiben. Vergeblich baten die Kurfürsten Papst Gregor XI. (1370–1378) um Wenzels Anerkennung als König wie um eine spätere Kaiserkrönung. 1378 schlitterte die Kirche durch die Wahl zweier Päpste in Rom und Avignon in ein großes Schisma, das erst auf dem Konstanzer Konzil 1417 überwunden wurde. 55 Jahre lang erfolgte keine Kaiserkrönung mehr, denn auch das römische Königtum geriet in heftige Turbulenzen.
Persönlich wie strukturell trat die begrenzte Integrationskraft der Könige Wenzel (1378–1400) und Ruprecht (1400–1410) immer deutlicher hervor. Gegen einen fernen und unberechenbar erscheinenden König formierten sich Kurfürsten und Fürsten als Sprecher des Allgemeinwohls. Seit den 80er und 90er Jahren des 14. Jahrhunderts konnte das Reich als Korporation auch ohne oder sogar gegen den König gedacht werden. Nun erwuchs der Reichstag neben dem königlichen Hof zum wichtigsten Aushandlungs- und Vertretungsorgan
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