Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian
gehörte schließlich der Versuch Elagabals, den Kniefall vor dem Kaiser (die Proskynese) im Hofzeremoniell zu verankern. Severus
Alexander verwahrte sich zwar dagegen (Hist. Aug. Sev. Alex. 18, 3), aber der Impuls wirkte weiter.
Einen bezeichnenden Ausdruck fand die Souveränität des severischen Kaisertums in der Konstitution, mit der Caracalla zu Anfang
seiner Alleinherrschaft (212 / 213) allen freien Menschen im gesamten Imperium Romanum das römische Bürgerrecht verlieh (Dig. 1, 5, 17). Es scheint nämlich,
daß die Schenkung der
civitas Romana
an eine riesige Menschenmenge allein dem Großmut des Kaisers zugeschrieben werden muß (vgl. Cass. Dio 78, 9, 5), nicht etwa
einem wohldurchdachten Plan der ‘Regierung’ zur Vereinheitlichung der Reichsbevölkerung. Caracalla wollte es so und verlieh
seinem Willen durch einen kaiserlichen Gesetzgebungsakt, die Constitutio Antoniniana (nach dem offiziellen Namen Caracallas
[oben S. 174]), allgemeine Geltung. In dem Papyrus Gissensis 40 I (Font. iur. Rom. anteiust. I 88) liegt ein Dokument vor,
das lange Zeit als Text der Constitutio Antoniniana galt, jedoch – nicht nur wegen seiner Verstümmelung – so viele Zweifel
aufkommen läßt, daß neuerdings von der Identifizierung Abstand genommen wird.
|178| Die Constitutio Antoniniana hatte keine spektakulären Folgen, vor allem nicht im Hinblick auf die peregrinen Stadtrechte,
die unverändert blieben, also nicht ‘romanisiert’ wurden. Auch die lokalen Privatrechtsordnungen behielten ihre Gültigkeit.
Aber da nun praktisch alle Reichsangehörigen das römische
ius civile
in Anspruch nehmen konnten, erfuhr dieses im Laufe der Zeit eine verstärkte Anwendung. Überhaupt entfaltete die Constitutio
Antoniniana erst allmählich die ihr innewohnende integrierende Kraft, indem sich die massenhafte Ausdehnung des römischen
Bürgerrechts den vielen zivilisatorischen Impulsen zugesellte, welche von der römischen Herrschaft als solcher ausgingen.
Gerade in der Severerzeit konnte ein aufmerksamer Beobachter des Zeitgeschehens konstatieren, daß die von Rom geschaffene
Weltkultur ihren Höhepunkt erreicht habe (Tert. de an. 30, 3). Gewissermaßen das Netzwerk dieser Weltkultur bot sich im Itinerarium
Antonini dar, einer unter Caracalla oder Severus Alexander entstandenen Karte, welche die Straßen durch die Provinzen des
Reiches und die Schiffsrouten im Mittelmeer verzeichnete.
Der Anteil der Severer am Kulminieren des römischen Zivilisationswerks bestand in der Hauptsache darin, daß sie gewisse Lücken
füllten, welche die bisherige Integrationspolitik gelassen hatte. So war in Syrien zu den von Augustus gegründeten Kolonien
Berytus und Heliopolis/Baalbek (oben S. 19) nur eine einzige neue hinzugekommen: Ptolemais (Plin. nat. hist. 5, 17). Unter
den Severern aber erhielten gleich sechs Städte den Rang einer Kolonie: Laodicea (ad mare) und Tyrus von Septimius Severus,
Palmyra, Emesa und Antiochia von Caracalla, Sidon von Elagabal. Vier dieser Städte (Laodicea, Tyrus, Palmyra, Emesa) sowie
Heliopolis bekamen dazu das
ius Italicum
, d. h. volle steuerliche Immunität (Dig. 50, 15, 1, pr. 5). Die Provinz Syria – in ihrer seit 194 zweigeteilten Form (Syria
Coele und Syria Phoenice) – war nun durchaus römisch strukturiert.
Mit einem anderen Nachholbedarf sah Septimius Severus sich in Ägypten konfrontiert. Es gab in Alexandria und den übrigen Städten
des Landes keine Ratsversammlungen. Augustus hatte sie im Interesse seiner unumschränkten Herrschaft abgeschafft und die |179| Bitten der Alexandriner um Wiedereinführung der Institution abschlägig beschieden. Zweihundert Jahre mußte Alexandria diese
Benachteiligung gegenüber den anderen Städten des Reiches ertragen. Septimius Severus hielt es für richtig, das augusteische
Verbot aufzuheben und Alexandria sowie den Gaumetropolen die Einrichtung von Ratsversammlungen zu gestatten (Hist. Aug. Sept.
Sev. 17, 2). Der Grundsatz der städtischen Autonomie galt nun auch in Ägypten.
Besondere Aufmerksamkeit schenkte Septimius Severus den Verhältnissen in seiner Heimatprovinz Africa Proconsularis. Seine
Geburtsstadt Leptis Magna erhielt zusammen mit Carthago und Utica das
ius Italicum
(Dig. 50, 15, 8, 11). Großartige Bauten (Forum mit Basilica und Tempel, Säulenstraße zum Hafen, Severerbogen am Decumanus
maximus) verschönerten das Stadtbild, der Ausbau des Hafens stärkte die Wirtschaft, die
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