Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian
Germania superior erhielt auch Germania inferior jetzt den Status einer Provinz, freilich ohne Gebietserweiterung.
Eine solche stand hier auch nicht zur Disposition. Die Römer griffen rechts des Niederrheins nur ein, um Unruheherde zu beseitigen
(vgl. oben S. 54). 77 hatten die Brukterer an der Ems (Amisia) Anlaß zu einer Expedition dieser Art gegeben. Der Kommandeur
des niedergermanischen Heeres, Q. Iulius Cordinus Rutilius Gallicus, führte sie erfolgreich durch. Als Ergebnis brachte sie
u. a. die Gefangennahme der Veleda (Stat. silv. 1, 4, 89 – 90), die als Seherin großen Einfluß besaß und diesen im Bataveraufstand gegen die Römer eingesetzt hatte (Tac. hist. 4, 61,
2). Veleda wurde nach Rom gebracht und scheint hier einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben (vgl. Tac. Germ. 8,
2). Eine geheimnisvolle Inschrift aus Ardea bringt ihr ferneres Leben mit dieser Stadt in Verbindung (Zeitschr. f. Papyr.
u. Epigr. 43, 1981, 241).
|107| Der erwähnten Germania-capta-Parole Domitians trat in der zeitgenössischen Propaganda die Floskel
Britannia perdomita
an die Seite (Tac. Agr. 10, 1), so wie dem gleichfalls schon erwähnten Ehrenbogen von Castellum/Mainz-Kastel ein Gegenstück
in dem von Rutupiae/Richborough (bei Dover) erwuchs (V th Report on the Excavations of the Roman Fort at Richborough 1968, 73). Vespasian sah die in Britannien erreichte Nordgrenze
der Provinz mit den beiden Legionslagern Deva/Chester und Lindum/Lincoln (oben S. 56) als ungenügende Sicherung gegen die
Briganten an. Er übertrug daher die Statthalterschaft in Britannien einem erfahrenen Militär, Q. Petillius Cerialis, und erteilte
ihm den Auftrag zu weiterem Ausgreifen nach Norden. Zwischen 71 und 74 drang Cerialis bis zur Solway-Tyne-Linie vor (wo später
der Hadrianswall entstand); in dem hinzugekommenen Gebiet (der Briganten) legte er das Legionslager Eburacum/York an, das
an die Stelle von Lindum/Lincoln trat. Die Römer hatten damit die Nordgrenze der Provinz so günstig wie möglich vorverlegt.
Der Nachfolger des Cerialis, Sex. Iulius Frontinus (74 – 78), konnte sich daher einer anderen unbewältigten Aufgabe zuwenden: der Unterwerfung oder, römisch gesprochen, der Befriedung
der Siluren im Südosten von Wales. Den Erfolg Frontins manifestierte die Anlage des Legionslagers in Isca: Castra Legionis/Caerleon.
Während der Statthalterschaft des Cn. Iulius Agricola (78 – 85) trat die Nordgrenze Britanniens erneut ins römische Blickfeld. Agricola sah in der Forth-Clyde-Linie die bessere Alternative
zur Solway-Tyne-Grenze. Nach drei Sommerfeldzügen hatte er sein Ziel erreicht: er konnte die nördlichste der beiden Landengen,
von den Römern Clota-Bodotria-Linie genannt, durch Kastelle (die Vorläufer des Antoninswalles) sichern. Da Agricola auf seinem
Posten belassen wurde – sowohl von Titus als auch von Domitian –, glaubte er, der römischen Sache zu dienen, wenn er noch
weiter nach Norden vorstieße. Ging es doch nunmehr darum, die Grenze Britanniens überhaupt zu erreichen. Das aber bedeutete
den Kampf gegen die Caledonier in Schottland, die sich mit 30 000 Mann unter ihrem Fürsten Calgacus den Römern entgegenstellten. In der Schlacht am Mons Graupius (84) siegte Agricola;
10 000 Caledonier fielen. Zur Sicherung des Erreichten sollte das Legionslager Pinnata Castra/Intuchthil von der bisher in Viroconium/Wro xeter garnisonierten Legion gebaut werden. In einer Flottenexpedition gelangten die Römer zur Nordspitze, fanden also den Inselcharakter
Britanniens bestätigt (Tac. Agr. 38, 3; vgl. 10, 4). Die |108| Flotte
( classis Britannica
) hatte auch an den vorangegangenen Operationen ihren Anteil (Tac. Agr. 25, 1).
Die Abberufung Agricolas (85) ist von Tacitus in der Biographie seines Schwiegervaters (›Agricola‹) als Fehlentscheidung Domitians,
verursacht durch Neid und Mißgunst, beurteilt worden (Agr. 39 – 42). Dieses Zeugnis leidet jedoch unter der Befangenheit des Verwandten und dem Tyrannenhaß des Senators. Britannien mußte
für Domitian in den Hintergrund treten, weil im Donauraum neue Entwicklungen eine Verstärkung der römischen Präsenz erforderten.
Das Legionslager Pinnata Castra in Schottland wurde aufgegeben und die dafür vorgesehene Legion nach Deva/Chester beordert,
da die hier stationierte Legion nach Mösien in Marsch gesetzt worden war (86). Allmählich gaben die Römer das ganze von Agricola
eroberte
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