Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian
konstatieren. Dieser Wandel fand auch darin seinen Ausdruck,
daß sie von Hadrian (Dig. 27, 1, 6, 8) in die Gruppe derjenigen Berufe aufgenommen wurden, denen Vespasian weitgehende Immunitätsrechte
verliehen hatte (oben S. 92). Wie sehr die Philosophie von der durch Hadrian ausgelösten Welle des Philhellenismus profitierte,
zeigte sich mit voller Deutlichkeit in der Einrichtung staatlich dotierter Lehrstühle für die vier philosophischen Richtungen
(Platonismus, Peripathos, Stoa, Epikureismus) in Athen, die Marcus Aurelius bei seinem Besuch in der Stadt 176 vornahm (Cass.
Dio 72, 31, 3).
Vorliebe für das Griechentum war freilich nicht jedermanns Sache in Rom, auch wenn der offizielle Trend in diese Richtung
ging. Hadrian trug schon von früher Jugend an einen Spitznamen, mit dem man die Griechen bezeichnete, wenn man sie herabsetzen
wollte:
Graeculus
(Hist. Aug. Hadr. 1, 5). Über diese „Griechlein“ goß Juvenal (D. Iunius Iuvenalis) in mehreren seiner ›Satiren‹ (z. B. 3,
60 – 125) Hohn und Spott aus, und zwar unter der Regierung Hadrians! Noch schwerer wog, daß P. Cornelius Tacitus, der bedeutendste
Geschichtsschreiber der Epoche, in den nach seinem Prokonsulat in Asia (112 / 113) begonnenen ›Annales‹ auf mancherlei Weise seiner Abneigung gegen das Griechentum Ausdruck verlieh – ebenfalls zu Zeiten
Hadrians!
Tacitus’ Geschichtswerk entsprach insgesamt nicht dem Zeitgeist. Die kritische Einstellung des Autors zum Prinzipat als solchem
kam nicht nur in der Darstellung, sondern auch darin zum Ausdruck, daß er seinen ursprünglichen Plan, an die ›Historiae‹,
welche die Zeit von 68 bis 96 behandelten, den Prinzipat Nervas und Trajans anzuschließen (Tac. hist. 1, 1, 4), aufgab und
statt dessen die Entwicklung zurückverfolgte, d. h. seinen neuen Ausgangspunkt beim Tode des Augustus nahm (die ›Annales‹
hießen eigentlich ›Ab excessu divi Augusti‹). Unabhängig davon schuf Tacitus mit seiner Kompositions- und Sprachgewalt ein
Opus, in dem die annalistische Tradition zur Vollendung geführt wurde und die lateinische Prosa der Kaiserzeit ihren Höhepunkt
erreichte.
Juvenals ›Satiren‹ bildeten in gewisser Hinsicht das Komplement zu Tacitus’ historischen Schriften. Denn wie diese Unbehagen
am politischen System äußerten, so jene an den moralischen Zuständen der Zeit. Juvenal brachte unter Roms glänzender Fassade
verkommene Sitten zum Vorschein, stellte also die ‘heile Welt’ der kaiserlichen |139| Propaganda in Frage. Noch heute beziehen wir uns auf ihn, wenn wir von „Zuständen wie im alten Rom“ sprechen.
Zu den von Juvenal angeprangerten Dekadenzerscheinungen gehörten auch die Riten des kleinasiatischen Cybele- und des ägyptischen
Isiskultes (Iuv. sat. 6, 512 – 541). Diese beiden Mysterienreligionen hatten in Rom ihre feste Anhängerschaft und mehrten sie durch die Anziehungskraft ihrer
Verheißungen, welche Reinigung von Schuld und ewiges Heil versprachen. Besonders Frauen fühlten sich durch Cybele und Isis
angesprochen. Der Tempel der Cybele (Magna Mater) lag auf dem Palatin, der Isistempel auf dem Marsfeld (oben S. 43). Letzterer
war geradezu eine ägyptische Oase in Rom, symbolisiert durch die beiden mächtigen Statuen des Nils und des Tibers (heute in
den Vatikanischen Museen bzw. im Louvre, Paris), die im Bereich des Iseums (bei der Kirche S. Maria sopra Minerva) gefunden
worden sind.
Von den Mysterienreligionen des Ostens schickte sich eine im 2. Jahrhundert an, nicht nur Rom, sondern auch die Welt zu erobern:
der Kult des iranischen Gottes Mithras. Auf dem Weg nach Italien hatte die Mithrasverehrung wesentliche Transformationen erfahren.
Für uns faßbar trat sie auf als Verehrung des Gottes, der durch das Blut des von ihm getöteten Stiers die Erde fruchtbar gemacht
hat. Wer sich in die Geheimnisse dieses ‘Erlösungswerkes’ einweihen ließ, das regelmäßige Erinnerungsmahl an den Sieg des
Gottes einnahm und nach dem strengen Sittenkodex der Gemeinde lebte, konnte die Hoffnung hegen, nach dem Tode aus der Dunkelheit
zum Licht zu gelangen. Sieben Weihegrade zeigten die hierarchische Organisation des Kultes an, der Männern vorbehalten war,
aber keinen Unterschied machte, ob sie frei oder unfrei waren. Händler und Soldaten wirkten als seine Übermittler. Letztere
zog er in besonderem Maße an; dementsprechend entstanden z. B. in den vom Militär geprägten Rhein- und
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