Die kalte Koenigin
die anderen Vampyre, die um mich gewesen waren, vorgeworfen hatten, wie einem Hund einen Knochen.
Wir waren Ungeheuer. Wir alle. Wir konnten vorgeben, Götter zu sein. Wir konnten vorgeben, dass wir hier waren, um das Reich der Sterblichen zu bewachen. Um die schwache Spezies Mensch zu beschützen. Aber wir waren die Monster aus ihren Albträumen. Wir waren die Bestien aus der Legende, nicht die Herren der Erde.
Nezahual flüsterte mir zu: »Siehst du, wie sie durch sein Blut schöner wird? Durch sein Fleisch?«
Ich öffnete bei seinen Worten die Augen und sah, wie die schreckliche Fledermausgöttin dem Torso des Vampyrs das übrig gebliebene Bein ausriss und ihren Kopf heftig schüttelte, als sie das Fleisch von den Knochen zerrte.
Als sie ihr Mahl beendet hatte, kletterte sie wieder die schwarze Wand hinauf, indem sie das Auge der Schlange vor sich hielt, als wäre es ihr einziges Augenlicht.
Nezahual wandte sich mir zu und flüsterte: »Du solltest kein Mitleid mit dem Gefangenen haben. Er kannte die Strafe für seine Verbrechen, bevor er sie beging.«
Wir kehrten zurück, indem wir die dunklen Straßen und Wege der Obsidiantürme entlanggingen. »Selbst dein Blut enthält die Erinnerungen an diesen Ort«, sagte er. »Von diesen Felsen kam die Schlange zum Fluss, zu Ixtar, und hier wurde ich geboren. Und vor mir meine Brüder. Und meine Schwestern. Und durch uns kamen die vielen Generationen von Vampyren auf die Welt. Dies ist das Nest und die Quelle des Atems in deinem Leib. Dies ist die Ader des Blutes, das dich nährt. Obwohl dein Blut mit menschlichem Fleisch vermischt ist, bist du mein Bruder.« Er umarmte mich und küsste mich auf die Wange. Dann rief er nach anderen, die in ihren Höhlen inmitten der großen Gebäude mitsamt den Felsvorsprüngen in dem hohlen Berg verborgen waren.
Ich begegnete einer Vielzahl jener reinen Vampyre, die in ihrem Leben nur einen oder zwei andere Mischlingsvampyre getroffen hatten. Sie rochen an mir und strichen mir durch das Haar, knurrten und umarmten mich.
In einer großen Halle voller Obelisken taten wir uns an
Dorfleuten gütlich, die von der nächtlichen Jagd von Scharen meiner Geschwister stammten.
Als die Morgendämmerung nahte, führte mich Nezahual in einen Alkoven in der Obsidianstadt. Dort war ein in den Stein eingelassenes Bett mit frischer Erde ausgestattet worden. Ich ließ mich nieder. Er legte kühle Palmwedel über meinen Körper und strich mir Haarsträhnen aus den Augen, als ob ich sein Kind wäre.
»Als ich zum ersten Mal hörte, dass du dich auf dem Weg hierher befandest, dachte ich, ich würde dich in deine Auslöschung schicken«, sagte er. »Aber ich kann dir nicht die Schuld für die Verbrechen meiner Schwester oder für jene Verbrechen geben, die lange vor deiner Geburt von den Priestern von Myrryd begangen wurden. Du bist hergekommen, um Pythia zu finden, doch sie entkam uns heute Nacht. In der kommenden Nacht werden wir Jagd auf sie machen, denn sie hat etwas gestohlen, das kostbar für mich war. Immer wieder stiehlt sie. Doch sie kehrt auch immer wieder zurück.«
»Was hat sie gestohlen?«
Er schenkte mir ein schmerzliches Lächeln. »Es ist ein geheimer Gegenstand. Aber sie wird ihn zurückgeben.«
Ich holte Luft, da ich ihm weitere Fragen über sie stellen wollte, weil ich sie doch finden musste, um die Maske zu bekommen, die sich in ihrem Besitz befand.
Jenseits von Ixtars Stadt war die Sonne gerade im Aufgehen begriffen, und ich hörte die Schreie der morgendlichen Vögel vom Rande des Berges herüberklingen.
Eine Nacht war vergangen. Als ich einschlief, zählte ich die Tage, die mir bis zur Sonnenwende noch blieben. Ich dachte an das Gesicht meiner Tochter, wie sie in ihrem Bett geschlafen
hatte, an meinen Sohn, wie er über mir gestanden und auf mich herabgeblickt hatte, als ich in meinem Sarg gelegen hatte. Ich konnte nicht noch eine weitere Nacht damit verbringen, auf Pythia zu warten. Sie besaß die Maske, und ich musste sie ihr wegnehmen.
Als ich erwachte, führten mich Nezahual und zwei Vampyrwachen weiter nach oben, in das Nest, in dem diese Vampyre schliefen.
»Wohin gehen wir?«, fragte ich.
»Du bist wegen Pythia hergekommen«, antwortete Nezahual. »Die Jagd beginnt.«
15
Wir überflogen die Berge im Süden, an den rauchenden Vulkanen vorbei, die wie schlafende Riesen an den äußeren Rändern des Tales aufragten. Nezahual bedeutete mir, ihm zu einer Reihe von spitzen Bergen zu folgen, die ein
Weitere Kostenlose Bücher