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Die kalte Koenigin

Die kalte Koenigin

Titel: Die kalte Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Clegg
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verschlingen. Sie ist blind, aber das Auge der Schlange leitet sie.«
     
    Er führte mich die Wand hinauf, auf einen Felsvorsprung weit über ihrem Nest, der uns einen Ausblick über die Türme der Obsidianstadt gewährte. Der Sarg unter uns erschien uns wie ein kleiner Kasten. Wir machten es uns an den Felsen bequem und spähten über den Rand, um Ixtar zu beobachten.
    Ich hörte Schreie aus der Höhle und in der Nähe ein weiteres Geräusch – ein Dutzend Vampyre oder mehr flogen von den dunklen Türmen durch die Öffnung des Vulkans in den nachtblauen Himmel hinauf. Er drängte sich eng an mich und legte mir den Arm um die Schultern. »Niemand von meinen Geschwistern wünscht sich, hier zu sein, um sich dies anzusehen. Sie fürchten sie. Aber sie sucht nur nach der Opfergabe. Es ist ihr möglich, viele Nächte ohne eine solche auszukommen, aber in diesen Zeiten des Krieges gibt es immer Vampyre, die gefangen werden können, und Opfergaben, die zu Ixtars Vergnügen eingesperrt werden.«
    Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass er Vergnügen aus der Furcht zog, die ich empfand, als ich das Kratzen und Brüllen vernahm, das so klang, als wäre ein Bulle erwacht, und das Heulen und Kreischen, das sich beinahe menschlich anhörte, als Ixtar sich, für uns unsichtbar, durch den Tunnel bewegte.
    Und als dann mehrere Minuten vergangen waren, sah ich, wie zuerst ihr Kopf herausragte und darauf ihre Flügel folgten. Von unserem Beobachtungsposten dort oben wirkte sie wie eine riesige Fledermaus, die aus ihrer Höhle auftauchte. Aber sie erhob sich nicht in die Luft. Stattdessen begann sie
die flache Oberfläche der schwarzen Wand hinabzuklettem, wie eine Spinne, die zu ihrer Beute krabbelt. In ihrer unteren linken Hand erblickte ich wieder jene Kugel, die sie vor sich hielt, als ob diese sie nach unten führte, zu dem Sarg.
    »Einige glauben, meine Mutter gehöre zu einer Rasse, die verschwand, als die Riesen und die Drachen das Land verließen, als die Meere an die Oberfläche kamen und die Sonne auf die Erde stürzte«, wisperte er. Beobachtete er mich statt ihrer? Ich konnte es nicht sagen, denn es gelang mir nicht, die Augen von ihr abzuwenden, als sie sich langsam an der Wand nach unten bewegte, die Beine und Arme seitlich ausgestreckt, um sich festzuhalten. Ihre Armflügel streckten und beugten sich, während die Klauenhände auf der Wand zu landen schienen, und sie schob sich vorwärts, indem sie mit den Beinen und ihren anderen Armen weiterkletterte. Ihre Wehklagen waren weiterhin zu hören und hallten den Berg hinauf. Ich war mit Abscheu erfüllt. In ihrem Schlaf war sie monströs, eine Abscheulichkeit auf der Erde, bei ihrem Wachzustand aber – ihrem fledermausgleichen Kriechen, ihren Spinnenbewegungen – musste ich an meine Abstammung durch den Heiligen Kuss denken. Wenn der Atem der Medhya in uns pulsierte, dann war auch die Mutter Ixtar in unserem Fleisch und Blut.
    Indem ich zusah, wie sie über den Boden kroch, nun schneller, da sie die Obsidianwand verlassen hatte, kam mir ein anderer Gedanke. Wie konnte es sein, dass Nezahual ein menschliches Erscheinungsbild besaß? Wie sah die Verbindung dieser Vampyre zur Menschheit aus? Ich war einst sterblich gewesen, daher war mein Äußeres das eines Sterblichen. Doch was Nezahual betraf, bei dem es sich um eines der ersten Kinder dieser Kreatur handelte – woher stammten dann seine menschlichen
Züge? Woher kam die Schönheit der Sterblichen auf den Zügen dieses unsterblichen Königs?
    Besaß die Schlange selbst die Gestalt eines Menschen? Denn wenn es sich bei der Großen Schlange um eine Python handelte, die die Erde umschlang, warum verfügten diese Kreaturen dann über die Jugend und Schönheit des Reiches der Sterblichen? Warum ähnelten sie dann nicht mehr einer Schlange und einer Fledermaus?
    Ich sah zu, wie Ixtar vorsichtig den schweren Deckel des Sarkophages hob und ihn sanft gegen die Seite des Sarges lehnte. Zwar konnte ich ihr glückloses Opfer im Sarg nicht sehen, aber ich hörte seine Schreckensschreie. Sie steckte ihren Kopf in den Sarg, und ein schreckliches Sauggeräusch hallte durch den Hof. Es schien, als küsste sie ihr Opfer und schmatzte, während sie mit ihrem schnauzenähnlichen Mund sein Blut saugte.
    Ich blickte fort, als sie ihn aus dem Sarg zog.
    »Sie ist wunderschön«, meinte Nezahual.
    Ich schloss die Augen, während ich das Saugen hörte, das mich an mein erstes sterbliches Opfer erinnerte – eine Jungfrau, die mir

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