Die kalte Koenigin
gewaltiges Wüstengebiet überragten. Dort deutete er an den Gipfeln entlang zu einem Bergsee in der Mitte eines Hochplateaus, das spärlich mit Wald bewachsen und mit Siedlungen bedeckt war, die aus Häusern bestanden, die aus Lehm und Stroh erbaut waren. »Meine Spione haben mir erzählt, dass sie hier gejagt und Dorfleute getötet haben, die mir Tribut zollten. Wahrscheinlich schlüpft sie in Spalten der Berghänge oder in die Schlangennester am Rande der Felder, die nicht mehr bebaut worden sind, seit hier die Schlachten begannen.«
Er sagte nun nichts mehr, sondern flog über das ausgedehnte Tal hinweg, und ich folgte ihm. Wir erreichten die Lehmund
Strohhäuser des Dorfes an dem großen See. In seinem Hafen lagen leere Boote. Überall war der Gestank nach Blut und Toten zu riechen.
Nezahual hob in der Nähe eines ausgedörrten Feldes ein totes Kind auf, dessen Hände noch immer ein kleines Spielzeug umklammerten – einen getöpferten Hund. Er drückte den Knaben fest an sich und küsste ihn auf die Stirn. »Es ist nicht unsere Art, von Kindern zu trinken. Das tun Mischlinge.«
»Ich habe nie ein Kind zum Vergnügen oder aus Durst getötet«, erwiderte ich.
Nezahual legte den Knaben auf die Strohmatte in dem ärmlichen Häuschen, das mich so sehr an die armselige Hütte erinnerte, in der ich als Kind gelebt hatte. Die Mutter des Knaben war hinter dem Haus getötet worden, als sie gerade mit Backen beschäftigt gewesen war. Der Lehmbackofen fühlte sich noch immer warm an. Nezahual drehte sich zu mir um und sagte: »Siehst du, was dein Volk anrichtet? Wenn wir jagen, so töten wir auch. Aber wir töten keine Mütter oder Kinder. Wir nehmen lediglich die Abgaben von Dörfern wie diesem an – sie wählen ihre Opfer selbst aus. Wir schlachten nicht gesamte Familien auf einmal ab. Wie kann ich dieses Tier lieben, diese sterbliche Mischlingsvampyrin? Ich verfüge über zahlreiche Geliebte in meiner Stadt. Ich sollte keine Zuneigung zu ihr empfinden. Ich sollte sie Aquil vorwerfen, damit seine Armeen sie in Stücke reißen.«
Er lief aus dem Haus und erhob sich in die Lüfte.
In meinen Gedanken flüsterte er: Sie ist ganz nahe. Wir werden sie heute Nacht finden.
Wir folgten dem Lärm der Schreie, die vom anderen Ende des Sees zu uns drangen. Ich fand sie über einen alten Mann gebeugt vor. Seine Kehle war zerfetzt, die Beine zuckten noch, und die Hände zitterten, während sie ihn an sich gedrückt hielt.
Als sie sich umwandte, um mich anzusehen, erkannte ich sie nicht.
Zwar besaß ihr Haar die goldene Farbe der Sonne, ihre Haut sah im Mondlicht wie Alabaster aus.
Aber sie trug die goldene Maske, die ich in meinen Visionen gesehen hatte, mit dem Gesicht von Datbathani darauf. Es war die Maske der Herrin der Schlangen – die Maske der Gorgo. Sie begann am höchsten Punkt ihres Haaransatzes und verlief über ihre Stirn, als wäre sie ihr geschmolzen auf die Haut gegossen worden. Die Maske schmiegte sich an Pythias Gesichtszüge an und verbarg sie dabei nicht, zeigte aber ein anderes Antlitz über Pythias eigenem – das der Göttin unseres Stammes, der diese Maske einst selbst gehört hatte. Eine Schwester der Medhya. Eine Schwester von Nezahual. In diesem Moment war ich von Ehrfurcht ergriffen, was diese uralte Geschichte betraf. Ich war zu einem Ort der Götter unserer Stämme gekommen – und die Maske selbst überlagerte mit dem Gesicht der Datbathani in Gold die Züge Pythias. Die Maske schien nicht von einer Schnur gehalten zu werden, sondern war einfach gegen ihr Gesicht gepresst worden und passte sich seiner Form an, bis hinab zu ihren Nasenlöchern und über ihre Wangen. Ihre Lippen und ihr Kinn waren unbedeckt und blutverschmiert.
Sie knurrte, als Nezahual sie von dem sterbenden Mann wegzog.
Ihre Fangzähne schnappten in die Luft. Sie griff nach hinten und kratzte Nezahual mit ihren Fingern über das Gesicht. Vier dünne Blutspuren folgten den Wunden, die ihre Nägel gegraben hatten, aber diese verheilten so schnell, wie die Haut zerrissen worden war.
Ihre Flügel schossen aus ihrem Rücken hervor, und sie kauerte sich nieder wie eine Wildkatze, die bereit war, sich auf uns zu stürzen. Ihre Tunika war zerfetzt und durch Blut und Eingeweide dunkelbraun verfärbt.
»Du widerst mich an«, sagte er.
Sie wischte sich mit der Hand über die Lippen und verschmierte das Blut auf ihren Wangen. »Dein Bruder empfindet das anders.«
Er beugte sich hinunter und schlug ihr hart ins Gesicht. Ein
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