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Die kalte Koenigin

Die kalte Koenigin

Titel: Die kalte Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Clegg
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den Morns.«
    Diese ihre letzten Worte hallten in mir wider, als ich Stunden später erwachte. Es war der Moment, in dem die Sonne hinter den fernen Hügeln im Westen verschwand. Ich weckte
Ewen. Er war noch wackelig auf den Beinen, aber es gelang mir, ihm Blut einzuflößen, und ich trank auch selbst eine Menge davon, bevor sich der Deckel über uns drehte.
    Wir stiegen zum Brunnenrand empor. Wenn unsere Gefängniswärter den Verschluss entfernt und mit ihrem Abstieg begonnen hätten, würden wir die Möglichkeit haben, sie zu überwältigen. In Gedanken dankte ich Calyx dafür, dass sie dies vorhergesehen und uns Nahrung gebracht hatte. Ewen und ich zogen uns zum oberen Rand des Brunnens hoch, gerade als sie das Siegel abgenommen hatten und das Silber weit genug von uns entfernt war.
    Ich warf Ewen einen Blick zu, dessen Fangzähne in der Dunkelheit schimmerten.
    Dann blickte ich nach oben und sah zum ersten Mal seit Jahren hoch über uns die frühen Sterne der Dämmemng. Ich genoss das restliche Blut, das noch in meinem Mund, auf meiner Zunge und am Rande meiner Lippen zurückgeblieben war, und spürte, wie meine Zähne in der Aussicht auf eine neue Beute schärfer wurden.
    Ich machte mich als Erster auf den Weg und zog mich über den Brunnenrand nach oben.

4
    Ich rief nach Ewen und griff nach ihm, bot ihm meine Hand an, für den Fall, dass er sie brauchte. Er grinste, seine Fangzähne schimmerten in der Dunkelheit.
    Dann bewegte er sich so schnell aufwärts wie eine Katze, die eine Mauer hinaufklettert.

    Ich fühlte mich unbesiegbar. Das Blut, das uns Calyx gebracht hatte, brauste wie Donner durch meinen Leib. Für diejenigen, die nicht unsterblich sind, ist dies schwer zu verstehen, als ob die Unsterblichkeit selbst ein ausreichendes Hochgefühl schenken sollte. Doch ich fühlte mich wie ein Gott, und ich nehme an, dass man gerade dann, wenn man sich gottähnlich fühlt, in die tiefsten Tiefen hinabstürzt.
    Ich sprang aus den Tiefen des Brunnens auf die breite Steineinfassung. Die frische Luft, die mir in die Lungen strömte, war ein Schock für mich. Meine Augen waren nicht mehr daran gewöhnt gewesen, irgendeine Art von Licht zu sehen, und so erschien mir bereits das schwindende Zwielicht grell. Violettes Licht säumte die Ränder der fernen weißen Türme, wenngleich ich diese nicht erkannte – sie schienen kaum zu diesem Land zu gehören, geschweige denn zu der Baronie. Ich fühlte mich außer Atem, aber Aufregung strömte durch jeden Nerv meiner Haut. Meine Flügel brachen aus meinem Rücken hervor und entfalteten sich zu ihrer vollen Größe. Sie bogen und drehten sich, da ich sie allein durch meine Willenskraft bewegte.
    Neun Männer, einige von ihnen in Rüstung, andere in Kniehosen, lose herabhängenden Hemden und Kitteln, standen dort, ausgerüstet mit Stricken, Netzen, kleinen silbernen Halsfesseln und Handschellen. Sie hatten überall um uns herum brennende Fackeln aufgestellt, und das Licht, das von diesen ausging, blendete mich einen kurzen Augenblick lang. Ich hegte keinen Zweifel daran, dass sie davon ausgegangen sein mochten, ihre Arbeit würde leicht zu erledigen sein. Immerhin erwarteten sie, dass wir nach Jahren der Gefangenschaft und Einsamkeit schwach und fügsam wären. Als sich meine
Augen an das Licht gewöhnt hatten, konnte ich ihre zu Tode erschrockenen Gesichter erkennen. Dennoch waren sie alle auf ihre Aufgabe konzentriert.
    Nun konnte ich klarer sehen und erkannte die Männer besser, die uns umringten. Hinter den Rittem und Wachen befanden sich Knaben mit Netzen. Und hinter diesen standen sogar noch Bogenschützen mit ihren Armbrüsten bereit.
    Das Klirren von Metall war zu hören, das Aufblitzen von Schwertern, die in dem flackernden Licht gezogen wurden, zu sehen. Aber niemand tat einen Schritt auf uns zu.
    Als wir auf dem Brunnenrand kauerten, betrachtete ich die Männer, von denen wir in wenigen Augenblicken trinken würden, und erkannte die Gesichter von zweien oder dreien. Einst waren sie Knaben gewesen, mit denen wir im Haushalt des Barons, auf den Koppeln und beim Hüten der Herden zusammengearbeitet hatten. In ihren Augen entdeckte ich keinerlei Zeichen, dass sie uns wiedererkannten, da wir nur geflügelte Dämonen für sie waren.
    Ich warf Ewen einen kurzen Blick zu. »Jetzt!«, schrie ich.
    Seine Flügel entfalteten sich aus seinen Schultern zu ihrer vollen Größe. Er sah wie ein wunderschöner Todesengel aus. Wir wussten beide, dass es notwendig war davonzufliegen,

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