Die kalte Koenigin
dem sie nicht nach dir suchen werden.«
Nach beinahe einer Stunde hatte sie mich in das Schlafzimmer meiner Tochter gebracht.
Hier unterhielten wir uns im Flüsterton, denn die Stoffbahnen am Himmelbett meiner Tochter waren geschlossen.
»Sie schläft«, sagte Calyx. »Wenn du sie wecken möchtest...«
»Ich will sie sehen«, erwiderte ich.
»Wenn sie einen Schrei ausstößt...« Calyx beendete ihren Satz nicht.
»Das werde ich riskieren.« Ich ging zu den dunklen Stoffbahnen, mit denen das große Himmelbett rundherum verhängt war, und zog eine davon ein wenig zurück. Dann spähte ich zu meiner Tochter hinein, die dort schlief. Ihr Gesicht hatte eine runde Form, und ihr wirres Haar bedeckte die Hälfte ihres Gesichtes. Ihr Atem ging leicht. Ich streckte die Hand aus und strich ihr Haar zurück, um ihr Antlitz erneut zu betrachten.
Da hörte ich, wie sich die Tür zum Schlafgemach öffnete.
Ich zog mich zurück, schloss den Vorhang und entblößte meine Fangzähne, bereit für einen Kampf.
Der Diener namens Constantine, der mir dabei geholfen hatte, dem Roten Skorpion zu entrinnen, stand dort. »Du bringst ihn hierher? In Lyans Zimmer? So geraten wir aber doch alle in Gefahr!«
»Die Soldaten bevölkern die Straßen. Wo ist Jehan? Wo ist sie? Sie sollte sich an den Gießereien mit uns treffen«, meinte Calyx.
»Sie hat... sie hat es nicht geschafft«, antwortete Constantine mit trauriger Stimme. Er warf einen Blick zu mir herüber. Sein Tonfall wurde scharf. »Du musst gehen. Du bringst deine eigene Tochter in Gefahr, indem du dich hier aufhältst. Du verstehst nicht, wer alles auf der Jagd nach dir ist. Enora hat die Chymers gerufen, damit sie den Wald nach deiner Fährte absuchen. Die Moms patrouillieren an den Grenzen jenseits der Mauern. Du musst jetzt gehen. Liegt dir deine Tochter am Herzen? Ist es von Bedeutung für dich, dass dein Sohn am
Leben bleibt? Dann musst du gehen, denn wenn die Moms deiner Fährte bis hierher folgen... Ich habe sie schon alle abschlachten sehen, die sich in der Nähe ihrer Beute befanden. Sie machen keine Unterschiede, wenn sie sich auf der Jagd befinden.«
Wir verabschiedeten uns an der Tür zum Zimmer meiner Tochter von Constantine. Wie ich Ewen hatte befreien wollen, so hegte ich ebenfalls den Wunsch, meine Kinder zu holen und mitzunehmen. Aber die Gefahr für ihr Leben war zu groß. »Ich wache über sie«, sagte Constantine. »Der Knabe ist zu sehr der Sohn seiner Mutter. Aber Lyan hat ein gutes Herz. Lieber würde ich mein Leben opfern als dabei zuzusehen, wie sie Schaden nehmen.«
Calyx und ich stiegen weitere Stufen hinab. Wir krabbelten wie Ameisen über die Strebepfeiler und Bögen zwischen den Türmen.
Ich erblickte Morns, die an dem schwarzen Rauch der Schmelzöfen vorbeiflogen, die Augen zur Beobachtung auf die Erde gerichtet. Als sie im Sturzflug auf uns zukamen, duckten wir uns in einen engen Durchgang.
Die Moms setzten selbst keinen Fuß auf die Türme. Aber wir hörten die Schreie von Soldaten, die eine Treppe heraufgerannt kamen. Ihre widerhallenden Schritte folgten uns, als Calyx mich durch eine verwirrende Reihe von Korridoren führte, die sonderbar leer wirkten, als wünschten nur wenige Sterbliche in diesen königlichen Gemächern zu leben.
Da, wo der Rauch, der aus den Gießereien aufstieg, am dicksten war, führte mich Calyx wieder nach draußen, auf den Wall, der zwischen zweien der weißen Türme hindurchführte.
Wir waren nun auf allen Seiten von dem Kreischen der Moms umgeben. »Der Rauch blendet sie«, wisperte Calyx, während sie mich erneut durch einen Türeingang und hinter einen Wandteppich zog. Durch einen Geheimgang ging es weiter. »Es wäre auch möglich, den Moms zu entwischen. Ich habe gesehen, wie der Ritter Per Ambler seinen schwarzen Hengst am Rande der Steinbrüche entlanglaufen ließ, um ihnen zu entkommen. Sie können im Wald nicht in geringer Höhe fliegen, da sie dumme Kreaturen von schwachem Sehvermögen sind. Die Myrrydanai fürchten die Elementargeister aus dem tiefen Wald jenseits der Moore, so dass nur wenige aus Taranis-Hir sich dorthin vorwagen. Wenn wir erst den tiefen Wald erreicht haben, sind wir beinahe schon in Sicherheit, denn selbst die Chymerwölfe werden sich nicht sehr weit wagen. Die Moormagie dieser Kreaturen wird dort schwächer, wo die Geister von Marsch und Dombusch Zuflucht suchen.«
Dann schritt sie den bogenförmigen Rand eines Turmes entlang. Hier war der Rauch weniger dicht, aber die
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