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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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die sich Monroe Marilyn nannte – verlangte erst das Geld. Lincoln zählte die Scheine ab und legte sie auf den Tisch. Monroe wusch sich in einem angeschlagenen Bidet und bestand darauf, dass er sich ebenfalls wusch. Sie sah ihm zu, um ganz sicher zu gehen. Dann zog sie ihre übrige Garderobe bis auf einen schwarzen Spitzen-BH aus und legte sich auf die Matratze, die mit einem fleckigen Laken bedeckt war. Während die Jukebox unten im Lokal wieder Don’t Worry, Be Happy spielte, schloss Lincoln die Augen und stellte sich vor, er würde mit Paura schlafen. Unter ihm stöhnte und schrie Monroe vor Lust: Ihr sinnliches Getöse wirkte auf ihn wie eine Bandansage, die immer und immer wieder abgespielt wurde, so wie unten die Single in der Jukebox.
    »Wurde ja Zeit, dass du auch mal ein Nümmerchen schiebst«, sagte Leroy, als Lincoln wieder zum Tisch gehumpelt kam und ihm gegenüber Platz nahm. »Schätze, du hast eben einen Geschwindigkeitsrekord gebrochen. Du solltest dir den Spaß mindestens einmal am Tag gönnen. Dann hältst du länger durch und kriegst mehr für dein Geld.«
    »Du solltest in der Zeitung eine Kolumne für einsame Herzen schreiben«, sagte Lincoln. »Du könnest Männern Tipps für ihre sexuellen Probleme geben.«
    »Vielleicht mach ich das auch, wenn ich zu alt bin, um es mit der Regierung in Washington aufzunehmen.«
    »Wie alt bist du denn dann, wenn du zu alt für den guten Kampf bist?«
    »Dreißig, vielleicht. Vielleicht dreißig.«
    Gegen elf kam ein alter Mann mit einem langen, schäbigen Mantel und einem abgetragenen Schal, den er locker um den dünnen Hals gewickelt hatte, in die Kneipe, um Lotterielose zu verkaufen. Seit Lincoln seine Wartezeit im Kit Kat vertrödelte, kam der Alte jeden Abend um die gleiche Uhrzeit. Sobald er eintrat, ließen die Frauen alles stehen und liegen, um sich bei ihm mit Glückslosen einzudecken. Anschließend kehrten sie an die Tische oder auf die Tanzfläche zurück. Der Losverkäufer schlurfte zu einem leeren Tisch nicht weit von Lincoln und Leroy. Die Mulattin hinter der Bar füllte ein Glas mit Leitungswasser und stellte es vor ihn hin. Der alte Mann verbeugte sich halb im Sitzen – eine Geste, die wie aus einer anderen Welt und einem anderen Jahrhundert wirkte. Eine neue junge Frau, die Lincoln noch nie gesehen hatte, kam hinter einem korpulenten libanesischen Freier die Treppe herunter, und als sie den alten Mann am Tisch sitzen sah, eilte sie zu ihm, um ein Los zu kaufen. Die Musik hörte auf und Lincoln konnte ihre Stimmen hören – er konnte sogar verstehen, was sie sagten. Die junge Frau fragte, wann die Ziehung sei und wie sie denn erfahren würde, ob sie gewonnen hätte. Der alte Mann erwiderte, dass er die Abrisszettel mit den Nummern monatelang verwahrte. Jeden Morgen riss er die Liste mit den Gewinnzahlen aus der Zeitung aus und suchte die Gewinner, die bei ihm ein Los gekauft hatten, persönlich auf.
    Lincoln gefiel die Vorstellung, dass eine Prostituierte davon träumte, einmal das große Lotterielos zu ziehen, und fragte sich, ob ihr Zuhälter auch die Hälfte von ihrem Gewinn einstreichen würde.
    Leroy hörte den beiden ebenso zu. Er griff über den Tisch und tippte Lincoln aufs Handgelenk. »Was reden die denn da für ein Kauderwelsch?«, wollte er wissen.
    Bis zu diesem Moment hatte Lincoln gar nicht registriert, dass es eine Fremdsprache war. »Keine Ahnung«, erwiderte er, obwohl er es zu seinem Erstaunen sehr wohl wusste. Der alte Losverkäufer und die junge Prostituierte unterhielten sich auf Polnisch, die Sprache, in der Martin Odums Mutter ihm als Kind in Jonestown, Pennsylvania, vor einer halben Ewigkeit Gutenachtgeschichten erzählt hatte.
    »Ich kann Ausländer nicht leiden«, sagte Leroy neben ihm. »Und ich kann es nicht leiden, wenn die ihre komischen Sprachen sprechen. Die sollen gefälligst sprechen wie wir. Ich finde, wenn alle unsere Sprache sprechen würden, könnte das vieles erleichtern.«
    Kurz vor Mitternacht, als die Frauen die Zimmer, die sie benutzt hatten, an der Bar bezahlten, kam der dicke arabische Junge hereingestürmt, der in Ciudad del Este das Puzzle gelegt hatte. Er trug wieder das Schulterhalfter, aus dem der Plastikgriff einer Spielzeugpistole ragte. Als er die beiden Amerikaner am hinteren Tisch entdeckte, eilte er auf seinen Reeboks zu ihnen und holte einen gefalteten Zettel hervor. Leroy las ihn, hob dann den Blick und sagte aufgeregt: »Bingo, Lincoln! Daoud wartet hinter der Kneipe auf

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