Die kalte Legende
als auch.«
Unvermittelt sagte Lucia: »Giovanni da Verrazano, der seinen Tagesnamen der Brücke verlieh, die Brooklyn mit einer Insel namens Staten verbindet, wurde 1528 auf einer Expedition nach Brasilien von Indianern getötet. Ein Vögelchen hat mir ins Ohr gezwitschert, das würde dich brennend interessieren.«
Lincoln blieb abrupt stehen und schob sie auf Armeslänge von sich weg. Das Lächeln erstarrte zu einer Maske auf seinem Gesicht. »Ja, allerdings, das tut es.«
Lucia sank, ganz zufrieden mit sich, wieder in seine Arme, und sie tanzten weiter. Lincoln wurde plötzlich nervös und presste den Mund an ihr Ohr. »Dann bist du also die Kontaktperson«, sagte er. Er dachte an Djamillha in dem Zimmer über der Kneipe in Beirut, die Prostituierte mit dem verblassten Nachtfalter, der unter ihrer rechten Brust eintätowiert war. Ihm fiel ein, was er zu ihr gesagt hatte: Ich bin süchtig nach Angst. Ich brauche täglich einen Fix. Wer in die Spionagebranche ging, musste süchtig nach Angst sein. Das hatte er mit der Italienerin Paura gemein – sie war zweifellos die Kontaktfrau, die zugesehen hatte, wie der FBI-Informant dem Krokodil zum Fraß vorgeworfen wurde. Lincoln erkannte, woher seine Nervosität rührte: Er hoffte inständig, dass sie nicht das gleiche Schicksal erleiden würde. »Hast du ein gutes Gedächtnis?«, fragte er sie jetzt. Ohne eine Antwort abzuwarten, sagte er: »Noch ist nicht viel passiert. Ich wurde von dem Texaner da bei mir am Tisch abgeholt, ich glaube, er heißt wirklich Leroy Streeter, weil er erwähnt hat, dass sein Vater in Alabama eine Schwarzenkirche angezündet hat. Er hat mich in einen Raum über einer Kneipe in Ciudad del Este gebracht. Dort hab ich den Ägypter namens Daoud getroffen.«
»Ist mir nur recht, wenn du keinen Sex willst«, sagte Lucia. »Ich bin für heute erledigt.«
»Daoud hat meine Geschichte überprüft. Ich hab gehört, wie er nach oben gegangen ist und telefoniert hat. Ich vermute, er hat von seinen Leute checken lassen, ob das mit der Triester Klinik und dem Buch, das ich geschrieben habe, stimmt. Den ersten Test hab ich anscheinend bestanden, denn er hat mich mit Leroy hergeschickt. Ich soll warten, bis ich wieder kontaktiert werde, und das mache ich gerade.«
»Weißt du, warum wir immer nur ein und dieselbe Platte spielen?«, flüsterte Lucia. »Weil Don’t Worry, Be Happy das Gegenteil von unserem Leben hier unten ist.«
»Wenn ich Glück habe, werde ich als Nächstes zu dem Saudi gebracht«, fuhr Lincoln fort. »Leroy hat mir erzählt, wozu sie das Ammoniumnitrat brauchen. Ich weiß nicht, ob er das nur erfunden hat, um zu prahlen, aber er sagt, er wird mit einem Umzugslaster voller Sprengstoff mitten auf die Wall Street fahren und die Ladung zünden.« Er ließ eine Hand nach unten auf ihre enge Torerohose und eine Gesäßbacke gleiten. »Was machst du, wenn das alles hier vorbei ist?«
Lucia ließ ebenfalls eine Hand sinken und schob sie hinten unter Lincolns Hemd. »Das alles hier wird nie vorbei sein«, hauchte sie.
Ihre Antwort verblüffte Lincoln. Genau das hatte die alawitische Prostituierte Djamillha zu Dante Pippen gesagt, als er eine Legende zuvor den Raum über der Kneipe in Beirut verließ. »Eines Tages wird es zu Ende sein«, versprach Lincoln ihr. »Wohin gehst du dann? Was willst du machen?«
»Ich würde zurück in die Toskana gehen«, sagte sie, das Gesicht an seinen Hals gedrückt, sodass ihre Worte gedämpft klangen. »Ich würde mir einen kleinen Hof kaufen und Polyesterschafe züchten und sie zweimal im Jahr scheren und das Fell verkaufen, woraus dann ein seidenweicher Stoff gewebt wird.«
»Polyester ist ein synthetischer Stoff«, sagte Lincoln.
Lucias Hand kam mit dem Lederhalfter in der tiefen Mulde in Lincolns Kreuz in Berührung. Sie streichelte das kalte Metall am Griff der kleinkalibrigen Automatikpistole. »Dann züchte ich eben Acrylschafe«, sagte sie, verärgert über seine Kleinkariertheit. Ihre Finger tasteten sich unter das Halfter vor. Als sie die glatte Narbe der verheilten Wunde fühlte, hörte sie abrupt auf zu tanzen. »Wie ist das passiert?«, fragte sie.
Aber Lincoln murmelte nur ihren Nachtnamen, Paura, und sie wiederholte die Frage nicht.
Als Lincoln am nächsten Abend wieder im Kit-Kat-Klub war, tanzte er bewusst mit zwei anderen Frauen. Mit der zweiten ging er nach oben in ein Zimmer, damit auf Paura kein Verdacht fiel, falls er auffliegen sollte. Die Frau – eine Wasserstoffblondine,
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