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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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uns.«
    Daouds schwarzer Mercedes stand mit laufendem Motor in der Dunkelheit am Ende der Straße, als die beiden Yankees um die Ecke des Kit Kat kamen. Der mit dem Gehstock humpelte hinter dem kleinen Amerikaner mit den Cowboystiefeln her zum Wagen, und sie nahmen auf der Rückbank Platz. Der dicke arabische Junge schob sich vorn neben Daoud auf den Beifahrersitz. »Wo bringen Sie uns hin?«, fragte Lincoln, aber Daoud gab nur dem Fahrer ein Zeichen, und der Wagen fuhr mit einem Ruck los. Hinter der muslimischen Metzgerei an der Ecke bog er auf die schlecht beleuchtete Hauptstraße und fuhr dann in Richtung Kleiner Bär und Polarstern, die über den Dächern am Nachthimmel hingen. Zwanzig Minuten, nachdem sie Foz do Iguaçú hinter sich gelassen hatten, wurde aus der geteerten Straße unversehens eine holprige Piste, und der Fahrer musste das Tempo drosseln, damit die Passagiere nicht mit dem Kopf gegen die Decke knallten. Im Scheinwerferlicht tauchten immer wieder Indios auf, die mit Jutesäcken bepackte Esel durch die pechschwarze Dunkelheit führten. »Hier draußen«, sagte Leroy zu Lincoln, »sind nachts jede Menge Schmuggler unterwegs.« Als der Wagen einmal besonders heftig durchgerüttelt wurde, legte Daoud einen Arm um die Schulter des dicken Jungen und sagte etwas auf Arabisch zu ihm. Der Junge erwiderte: » Inch’Allah. «
    Lincoln beugte sich vor und fragte den Ägypter, ob der Junge sein Sohn sei. Daoud drehte nur leicht den Kopf und sagte: »Er ist der Sohn meines Sohnes.«
    »Und wo ist sein Vater?«
    »Sein Vater, mein Sohn, ist 1983 bei dem Anschlag auf die Kaserne der US-Marines in Beirut getötet worden.«
    Lincoln rief sich in Erinnerung, dass er tief in einer Legende lebte und mit dem Ägypter Mitleid empfinden sollte. »Es ist sicherlich sehr traurig für Sie, Ihren Sohn verloren zu haben –«
    »Es macht mich sehr stolz, dem Dschihad einen Sohn geschenkt zu haben. Zusammen mit meinem Sohn sind bei dem Anschlag zweihunderteinundvierzig amerikanische Marines und Matrosen ums Leben gekommen, und danach hat euer Präsident Reagan die Nerven verloren und sich aus dem Libanon zurückgezogen. Jeder Vater sollte so einen Sohn haben.«
    Nach anderthalb Stunden Fahrt fiel das Scheinwerferlicht des Mercedes auf die erste von zwei Straßensperren. Kurz nachdem sie die zweite passiert hatten, die direkt hinter einer scharfen Kurve aufgebaut war, bremste der Wagen ab und wartete, bis drei bewaffnete Männer mit rot-weiß karierten Kefijes vor dem Gesicht ein Maschendrahttor geöffnet hatten. Einer der Wachleute sprach etwas in ein Walkie-Talkie und winkte den Mercedes durch. Der Fahrer lenkte den Wagen bergauf auf eine Gruppe Holzbaracken zu, die offenbar in einem ausgetrockneten Flussbett standen, und hielt vor einem Gebäude, das niedriger und breiter war als die anderen. Auf einer Anhöhe hinter den Baracken lag ein in Flutlicht getauchter Sandplatz, auf dem ein Dutzend Männer in khakifarbenen Drillichanzügen Elfmeterschießen gegen einen Torwart übten, der einen gelben Hertz-Overall trug.
    Daouds Enkel sprang aus dem Mercedes und zog eine schmale Tür an der Seite des Gebäudes auf. Der junge Pakistani, den Lincoln im Kit-Kat-Klub mit Leroys minderjähriger Prostituierten hatte tanzen sehen, stand in dem Gang hinter der Tür, eine israelische Uzi unter dem Arm, den Finger am Abzug. Er erstarrte sichtlich nervös, als er die zwei Amerikaner erblickte, und flüsterte Daoud etwas zu.
    »Er will wissen, ob ihr bewaffnet seid«, übersetzte er. Lachend griff Lincoln hinten unter sein Hemd und zog die Automatikpistole aus dem Halfter. Der Pakistani nahm sie an sich und winkte die Gruppe durch.
    Der Korridor führte in einen quadratischen Raum mit niedriger Decke. Es dauerte einen Moment, bis Lincolns Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Rund dreißig Männer saßen ringsum an der Wand auf Strohmatten und lehnten sich gegen dünne Kissen. Daoud winkte Lincoln und Leroy zu einer freien Stelle und nahm dann an der Wand gegenüber Platz, in der Nähe des Mannes, der offensichtlich den Vorsitz hatte. Lincoln legte seinen Stock auf den Boden und setzte sich so, dass sein krankes Bein vor ihm ausgestreckt war, den Knöchel des gesunden unter den Oberschenkel geklemmt. Neben ihm ließ sich Leroy nieder und kreuzte unbeholfen die Beine. Lincoln griff nach seiner Dose Schimmelpennincks, doch ein muskulöser, junger Araber legte ihm sanft, aber bestimmt eine Hand aufs Handgelenk. Lincoln sah, dass

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