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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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das Gleiche erreichen will, was den ehemaligen Kommunisten in Polen, Rumänien und Bulgarien gelungen ist: Wahlen gewinnen und wieder an die Macht kommen.«
    Martin hatte eine Idee, wie er vielleicht gegen die Müdigkeit ankämpfen konnte, die in ihm den Eindruck erweckte, alles würde in Zeitlupe geschehen: Er schloss ein Auge und stellte sich vor, eine Hälfte seines Gehirns würde schlafen, während die andere Hälfte und das andere Auge wach blieben. In der Hoffnung, der Vernehmer würde seinen cleveren Trick nicht durchschauen, wechselte er Auge und Hirnhälfte einen Moment später. Er konnte hören, wie die Stimme des hageren Mannes weiterleierte, konnte mit dem offenen Auge die verschwommene Gestalt erkennen, die aufstand und sich vor ihm an die Kante des Schreibtisches lehnte.
    »Sie sind aus London gekommen, Mr. Odum. Vom britischen MI5 wissen wir, dass Sie mehrere Tage in einer Pension neben der Synagoge in Golders Green gewohnt haben. Das Lagerhaus, in dem Mr. Taletbek Rabbani am Tag vor Ihrer Abreise aus London ermordet wurde, war von Ihrer Pension aus leicht zu Fuß zu erreichen.«
    »Wenn alle Leute, die in der Nähe zum Lagerhaus wohnen, verdächtig sind«, gelang es Martins noch funktionsfähiger Hirnhälfte zu sagen, »dann hat der MI5 aber alle Hände voll zu tun.«
    »Wir wollen die Möglichkeit nicht ausschließen, mit Ihnen einen Deal zu machen, Mr. Odum. Uns geht es vor allem darum nachzuweisen, dass Mrs. Slánská und Mr. Rabbani an den Waffengeschäften von Samat Ugor-Shilow beteiligt waren und dass das Lagerhaus in London und der stillgelegte Bahnhof in Prag von eben diesem Samat Ugor-Shilow finanziert wurden, einem berüchtigten Moskauer Gangster, der mit dem als Oligarchen bekannten Ugor-Shilow in Verbindung steht. Unser Ziel ist es, die kommunistische Splittergruppe mit Susanna Slánskás illegalen Waffengeschäften in Verbindung zu bringen und sie ein für alle Mal in Misskredit zu bringen … Mr. Odum, hören Sie mir überhaupt zu? Mr. Odum, aufwachen!«
    Doch beide Hälften von Martins Hirn hatten vor Erschöpfung den Betrieb eingestellt.
    »Bringt ihn zurück in seine Zelle.«
     
    Einmal – etliche Inkarnationen früher – hatte Dante Pippen nur mit Mühe und Not eine endlose Busreise überstanden. Er war von Islamabad, wo er in einem bürgerlichen Viertel in einem Safe House untergebracht worden war, nach Peschawar und weiter in die trostlosen Stammesgebiete des Khaiberpasses gefahren, um dort Kämpfer zu debriefen, die nach ihrem Einsatz in Afghanistan wieder über die Grenze nach Pakistan geschleust wurden. Die Busfahrt (Crystal Quests Vorstellung, wie ein Nachrichtenagenturreporter – Dantes damalige Tarnung – reisen würde) war der reinste Albtraum gewesen. Eingequetscht auf der hölzernen Rückbank hinten im Bus zwischen einem Mullah aus Kandahar, der einen schmutzigen Schalwar-Kamis trug, und einem bärtigen Kaschmir-Kämpfer in einer stinkenden Dschellaba, war Dante jedes Mal überglücklich gewesen, wenn der Bus anhielt, ob mitten in der freien Natur oder auf einer von Abwasser matschigen Dorfstraße, damit sich die Passagiere die Beine vertreten und Richtung Mekka gewandt die Verse des Korans murmeln konnten, die ein Muslim fünfmal am Tag beten musste. Jetzt, da er bequem in dem klimatisierten Reisebus saß, umgeben von gut gekleideten und, was noch wichtiger war, gepflegten Deutschen auf der Heimfahrt vom Kurort Karlsbad, musste Martin Odum schmunzeln, als er plötzlich an Dantes Khaiberpass-Reise dachte. Wie immer, wenn ihm etwas aus Dantes Vergangenheit einfiel, wurde ihm klar, dass auch er eine Vergangenheit gehabt haben musste, und das ließ ihn hoffen, dass er eines Tages fähig sein könnte, sich daran zu erinnern. In Erwartung der tschechisch-deutschen Grenze klopfte er mit der Hand auf den kanadischen Pass in der Innentasche seines Jacketts. Dieser Pass, einer von etlichen, die er aus einem Safe geklaut hatte, als er nach seiner Entlassung aus der CIA sein Büro räumte, war auf einen Einwohner British Columbias namens Josef Kafkor ausgestellt. Der Name sagte Martin zwar nichts, aber er konnte ihn sich leicht merken, da er ihn an Franz Kafka erinnerte und an dessen Erzählungen von verängstigten Menschen, die in einer albtraumhaften Welt ums Überleben rangen – so ungefähr sah Martin sich selbst auch. Das Schaukeln des Busses und das gleichmäßige Dröhnen des Dieselmotors machten Martin schläfrig, und als er die Augen schloss und vor sich hin

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