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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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nach Karlsbad, das von der deutschen Grenze nur einen Steinwurf entfernt war. Und von dort fuhren jeden Nachmittag Dutzende Reisebusse zurück nach Deutschland. Falls er an der Grenze kontrolliert wurde, konnte er den kanadischen Pass vorzeigen, den er im ausgefransten Futter seines Trenchcoats versteckt hatte. Er überprüfte das Futter erneut und war beruhigt; allem Anschein nach hatte Radek den Pass nicht entdeckt.
    Die Stimme des Fahrers, die blechern aus den kleinen Lautsprechern in der Decke des Busses ertönte, riss Martin aus seinen Gedanken. »Wir sind gleich an der Grenze. Bitte halten Sie Ihre Pässe bereit.« Ein Stück weiter vorne sah Martin die niedrigen Flachdachgebäude mit den Wechselstuben und den Toiletten und gleich dahinter die uniformierten Grenzbeamten. Es war ein Reisebus vor ihnen, und drei waren hinter ihnen, was, wie Martin wusste, ein Glücksfall war. Wenn sich die Fahrzeuge stauten, nahmen die Beamten es mit der Kontrolle meist nicht so genau. Als Martins Bus an der Reihe war, stieg ein junger Grenzbeamter mit mürrischer Miene ein, kam den Gang hinunter und schaute dabei mehr in die Gesichter der Reisenden als in ihre Pässe. Martin, der auf der hintersten Bank saß, hielt ihm den aufgeschlagenen Pass so hin, dass das Foto zu sehen war, doch der junge Mann streifte ihn nur mit einem flüchtigen Blick.
    Als der Bus schließlich die Grenze passierte, kamen Martin erneut Zweifel, ob es richtig gewesen war, Susanna Slánská in den Fängen des hinterhältigen Radek zurückzulassen, und er hatte die entsetzliche Vision, wie das Gewicht des Staates alle Luft aus ihrem zerbrechlichen Körper quetschte.
    Radek hatte auf dem Vordeck gestanden und hinter dem Skoda her gesehen, dessen Rücklichter den Kai hinunter immer schwächer wurden. Als plötzlich die Bremslichter aufleuchteten und der Wagen anhielt, stieß der hagere Vernehmer, der neben ihm durch ein Fernglas spähte, ein gereiztes Knurren aus. Kurz darauf rollten die Rücklichter jedoch die Rampe hinauf und bogen schließlich am Ende der Auffahrt auf die Straße ein. Zufrieden mit ihrem gut durchdachten Plan schüttelten sich die beiden Männer die Hand. Der Vernehmer schob den Ärmel seiner Lederjacke hoch und schaute auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr. »Ich gebe unseren Leuten Bescheid, dass er unterwegs ist«, sagte er. »Der Oligarch hat unserem Ministerium telegrafische Anweisungen erteilt – er will, dass die Spur zu Samat bei der Slánská aufhört.«
    Radek, der sich mit einer Hand ein Taschentuch auf die blutende Kopfwunde drückte, holte eine kleine Taschenlampe hervor und gab Lichtzeichen in Richtung Kai, wo eine grüne Mülltonne stand. Sekunden später tauchten die zwei Gorillas auf, die Martin aus seiner Zelle geholt und wieder zurückgebracht hatten. Radek winkte ihnen, ihm zu folgen, und ging nach unten zu der kleinen Zelle im Bug zwei Decks tiefer. Als sie eintraten, saß Susanna Slánská auf ihrer Pritsche, die Augen geweitet vor Angst, die Beine an den Körper gezogen, die Arme um die Bettdecke geschlungen, die sie sich trotz der stickigen Luft im Raum bis über die Schultern gelegt hatte. »Muss ich schon wieder zum Verhör?«, fragte sie, griff nach dem Davidstern an ihrem Hals und stand von der Pritsche auf. Statt sie durch die Tür zu winken, traten die beiden Wachmänner links und rechts neben die Frau und packten ihre Oberarme. Susannas Augen weiteten sich, als Radek ihr die Bluse aus dem Hosenbund zog und ihren Bauch entblößte. Dann sah sie die kleine Spritze in seiner Hand und versuchte verzweifelt, sich loszureißen, doch die beiden Gorillas hielten ihre Arme noch fester. Vor nackter Panik begann Susanna, leise zu schluchzen, als Radek die Nadel in das weiche Fleisch ihres Nabels stach und den Kolben hinunterdrückte. Das Mittel wirkte rasch – binnen Sekunden senkten sich Susannas Augenlider, dann fiel ihr das Kinn auf die Brust. Während die beiden Gorillas sie festhielten, schnitt Radek mit einem kleinen Taschenmesser schmale Streifen aus der Bettdecke. Er zwirbelte die Stoffstreifen zu Schnüren, die er an den Enden zusammenband. Dann zog er die Pritsche in die Mitte der Zelle unter die Glühbirne, stieg auf das Bett und befestigte ein Ende der selbst gebastelten Schnur an dem Elektrokabel über der Birne. Er zog daran, um sich zu vergewissern, dass der Knoten fest war und die Schnur nicht riss. Die beiden Gorillas hoben Susannas schlaffen Körper auf die Pritsche und hielten ihn hoch,

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