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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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döste, ließ er die Ereignisse der letzten zwölf Stunden Revue passieren.
    Er konnte hören, wie Radeks Stimme ihm ins Ohr flüsterte: Mr. Odum, bitte, Sie müssen aufwachen.
    Martin war in Etappen an die spiegelnde Oberfläche des Bewusstseins getrieben, wie ein Sporttaucher, der beim Auftauchen Pausen einlegt, um Lungenüberdruck zu vermeiden. Als er schließlich die entsprechenden Muskeln lokalisiert hatte, um die Lider zu öffnen, hockte Radek, der wieder in Reithose und Tiroler Jacke gekleidet war, neben der Pritsche in seiner Zelle. »Na endlich, wurde aber auch Zeit, Mr. Odum.«
    »Wie lange hab ich geschlafen?«
    »Vier, viereinhalb Stunden.«
    Martin setzte sich schwerfällig auf der Pritsche auf. »Wie spät ist es?«
    »Zwanzig vor sechs.«
    »Morgens oder abends?«
    »Morgens. Sind Sie in der Lage zu verstehen, was ich sage? Die Wachleute am Kai, das Personal vom Hausboot, alle sind nach Hause geschickt worden. Irgendwelche hohen Tiere wollen, dass Sie sich in Luft auflösen.« Er reichte Martin seine Schuhe und sagte: »Ziehen Sie die an. Und dann kommen Sie mit.«
    Radek stieg vor Martin die Metalltreppe hoch aufs Wetterdeck. In einem kleinen Raum neben dem Mittschiffsgang übergab er ihm den Trenchcoat und den Koffer, den er aus der Pension geholt hatte. Martin öffnete den Kofferdeckel und berührte den weißen Seidenschal, der gefaltet auf der Kleidung lag. Er fuhr mit den Fingern über die Unterseite des Deckels.
    »Ihre gefälschten Ausweise und ihre Barschaft in Dollar und britischem Pfund sind noch dort, wo Sie sie versteckt haben, Mr. Odum.«
    Martin beäugte Radek misstrauisch. »Für dreißig lausige Kronen die Stunde bieten Sie eine ganze Menge.«
    In Radeks Augen flackerte so etwas wie Schmerz auf. »Ich bin nicht der, der ich zu sein scheine«, flüsterte er. »Ich bin nicht der, für den meine Vorgesetzten mich halten. Ich habe in meiner Jugend nicht gegen die Kommunisten rebelliert, um jetzt Staatskapitalisten zu helfen, die die gleichen Methoden anwenden. Ich weigere mich, mit Kriminellen gemeinsame Sache zu machen.« Er zog die deutsche Walther P1 aus einer Tasche seiner Tiroler Jacke und hielt sie Martin hin, mit dem Griff zuerst. »Wenigstens sind Sie gewarnt.«
    Zutiefst verwirrt nahm Martin die Waffe. »Gewarnt und gewappnet.«
    »Ich habe Anweisung, Sie um fünfzehn Minuten vor sieben gehen zu lassen. Ich vermute, irgendwann würde man Sie tot aus der Moldau fischen. Ihr Koffer mit amerikanischen Dollars, britischen Pfund und falschen Ausweispapieren würde man am Kai entdecken. Die Polizei würde spekulieren, dass ein verdächtiger Amerikaner, der mit illegalen Waffengeschäften zu tun hatte, von internationalen Gangstern ermordet wurde. Die hiesigen Zeitungen würden darüber eine kleine Meldung bringen. Die amerikanische Botschaft würde der Sache nicht viel Beachtung schenken – euer hiesiger CIA-Stationschef würde vielleicht sogar andeuten, dass es im internationalen Interesse besser wäre, wenn sie der Angelegenheit nicht allzu tief auf den Grund gingen. Der Fall würde ad acta gelegt, noch ehe die Tinte auf den diversen Berichten getrocknet wäre.«
    »Viertel vor sieben – dann habe ich nicht mal mehr eine Stunde«, sagte Martin.
    »Mein Wagen, ein grauer Skoda, steht fünfzig Meter den Kai runter. Er ist voll getankt, der Zündschlüssel steckt. Fahren Sie am Kai entlang, bis die erste Auffahrt zur Straße in Sicht kommt, dann nehmen Sie die erste Brücke, überqueren den Fluss und folgen den Schildern Richtung Ceské Budějovice und von dort weiter nach Österreich. An der Grenze zeigen Sie einen Ihrer falschen Pässe vor. Die ganze Fahrt dürfte nicht länger als zwei Stunden dauern, wenn Sie gut durchkommen.«
    »Wenn ich schon abhaue, möchte ich Susanna Slánská mitnehmen.«
    »Deren Leben ist nicht in Gefahr. Aber Ihres. Sie muss mit Gefängnis rechnen, wenn die Beweise für eine Anklage reichen.«
    Martin machte sich wegen Radek Sorgen. »Wie wollen Sie erklären, dass Ihre Pistole verschwunden ist?«
    »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir mit der Waffe eins über den Schädel geben würden, aber ordentlich, damit ich noch bewusstlos bin, wenn sie mich finden. Ich werde sagen, Sie hätten mir die Pistole entrissen und mich außer Gefecht gesetzt. Man wird mir vielleicht nicht glauben – ich werde bestimmt degradiert, vielleicht sogar entlassen. Aber egal. Ich leiste Widerstand, also bin ich.«
    Die beiden Männer schüttelten sich die Hand. »Ich

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