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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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dann zerrte man ihn um eine Ecke herum und eine Seitenstraße hinunter. Wenn er stolperte, stach ihm ein Gewehrlauf schmerzhaft zwischen die Schulterblätter. Zwei Querstraßen weiter wurde eine Tür aufgestoßen, und Martin wurde in ein Gebäude und durch eine Eingangshalle geschubst, in der fast alle weißen Marmorfliesen herausgerissen worden waren. Er und die anderen durchquerten eine seichte Rinne mit einer Flüssigkeit, die nach Desinfektionsmittel roch, dann stellte man ihn unter einen Brausekopf, der ihn und seine Bewacher mit einem feinen Nebel Desinfektionsmittel einsprühte. Martin hörte, wie andere Männer in einer Sprache, die er nicht erkannte, mit denen, die ihn hereingebracht hatten, ein paar Worte wechselten. Flügeltüren wurden aufgerissen, und schließlich befand sich Martin in einer Art Theatersaal, in dem die meisten Klappsitze vom Boden abgeschraubt und an einer der Wände aufgestapelt worden waren. Acht Männer in weißen Laborkitteln und mit Latexhandschuhen saßen auf den wenigen noch intakten Sitzen. Auf einem thronartigen Sessel mitten auf der Bühne, im Hintergrund die gemalte Kulisse einer Operette im Stil des sozialistischen Realismus, rekelte sich der Warlord. Er war ein auffällig kleiner Mann, der mit den Füßen nicht bis zum Boden reichte, und er trug einen groben, grauen, ärmellosen Überwurf, der ihm bis auf die gewienerten Fallschirmjägerstiefel fiel, die auf einer umgedrehten Munitionskiste ruhten. Seine nackten Arme waren muskulös wie bei einem Gewichtheber. Über dem Überwurf trug er ein Schulterhalfter, aus dem der Stahlgriff eines großen Marinerevolvers ragte. Mit der altmodischen Motorradbrille vor den Augen erinnerte er irgendwie an ein Insekt. Auf seinem übergroßen Kopf saß eine steife Admiralsmütze aus der Zarenzeit. Er redete mit leiser, knurrender Stimme einige Minuten lang mit einem der in Overalls gekleideten Männer, die hinter ihm standen, bevor er den Kopf hob und Martin direkt ansah. Er winkte ihn mit seinem kurzen Arm näher heran und bellte dann mit mädchenhaft hoher Stimme etwas in der seltsamen Sprache.
    Da Martin nicht wusste, was er sagen sollte, schwieg er.
    Hinten aus dem Saal übersetzte eine Mädchenstimme. »Er will wissen, warum Sie nach Kantubek gekommen sind.«
    Martin blickte kurz hinter sich. Almagul stand an der Saaltür, flankiert von zwei bewaffneten Männern. Sie lächelte ihm nervös zu, ehe er sich wieder dem Warlord zuwandte und salutierte. »Sag ihm«, rief er über die Schulter, »dass ich ein Journalist aus Kanada bin.« Er holte einen eingeschweißten Presseausweis von einer Nachrichtenagentur hervor und wedelte damit. »Ich recherchiere für einen Artikel über den Menschenfreund Samat Ugor-Shilow, der von Prag aus nach Wosroschdenije gekommen sein soll.«
    Als Almagul Martins Antwort übersetzte, bleckte der Warlord ungläubig die Zähne. Er knurrte den Männern hinter dem Thron etwas zu, die prompt auflachten. Der Warlord stieß die Munitionskiste um, sodass seine Füße in der Luft baumelten, und brüllte das Mädchen hinten im Saal wütend an. Almagul kam nach vorne und trat hinter Martin. »Er behauptet«, sagte sie mit leiser, verängstigter Stimme, »Samat Ugor-Shilow ist der Kommandant dieser Insel und der Leiter von Kantubeks Waffenversuchsprogramm.«
     
    Die gedämpften Stimmen, die sich in einer unverständlichen Sprache unterhielten, hatten sich in Martins Träume hineingearbeitet. Er glaubte, Lincoln Dittmann zu sein, der am Dreiländereck dem Saudi lauschte, den er später als Osama bin Laden identifizierte, wie er mit dem Ägypter Daoud sprach. Als er schließlich begriff, dass die Männer kein Arabisch sprachen, zwängte er sich durch die dünne Wand hindurch, die den Schlaf- vom Wachzustand trennte, und setzte sich auf. Es dauerte einen Moment, bis seine Augen sich an das trübe Licht der Glühbirnen an den Kellerwänden gewöhnt hatten. Als er die Hand ausstreckte, berührte er die kalten Eisenstangen und ihm fiel wieder ein, dass die Wachleute ihn in einen niedrigen Käfig gesperrt hatten, wie die für Affen in Versuchslabors. Er konnte Almagul erkennen, die im Nachbarkäfig auf einem Haufen Lumpen lag. Hinter ihrem Käfig standen weitere Käfige – mehr als er zählen konnte. In acht davon schliefen Gefangene auf dem Boden oder saßen dösend, das bärtige Kinn auf der Brust, mit dem Rücken an die Stäbe gelehnt.
    Unweit der Steintreppe standen drei Männer in weißen Kitteln um einen hohen Stahltisch

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