Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
»Unter jeder Schicht liegt … wieder eine Schicht.«
    »Eine letzte Frage: Wenn Sie gar nicht sicher sind, ob die Gebeine, die Samat hergebracht hat, die echten Gebeine sind, warum haben die Katholiken dann so darum gekämpft, sie in die katholische Kirche zurückzuholen?«
    Der Bischof hielt eine makellose kleine Hand hoch, als würde er den Verkehr regeln. »Ob die Gebeine des Heiligen echt sind, spielt keine große Rolle. Entscheidend ist, dass die Gläubigen es glauben.«
     
    Am Abend brachte der Oberst Martin zu seinem Lada zurück, der noch immer vor der Bäckerei stand.
    »Was machen die Rippen, Mr. Kafkor?«
    »Sie tun nur weh, wenn ich lache, und die Gefahr ist ja nicht sehr groß.«
    »Na, dann alles Gute, Mr. Kafkor. Ich lasse Sie von einem Jeep zur Grenze nach Weißrussland begleiten.« Als Martin einwenden wollte, dass das nicht nötig sei, fiel ihm der Oberst ins Wort.
    »Unsere Polizei hat heute Nachmittag zwei aufgedunsene Leichen in der Memel gefunden. Zuerst dachten sie, die Männer wären zwei ermordete Katholiken oder Orthodoxe. Aber ein Spezialist aus Vilnius hat bei einem ein langes Messer gefunden, das in Tschetschenien beliebt ist. Es handelt sich bei den beiden Toten also wahrscheinlich um Tschetschenen.«
    »Vielleicht hatten sie mit Samats Opiumkartell zu tun«, spekulierte Martin.
    Der Oberst zuckte die Achseln. »Eine Verbindung zwischen den toten Tschetschenen und Samat ist nicht auszuschließen, aber ich bezweifle, dass sie was mit dem Opium zu tun haben. Der Islam ist hier in der Grenzregion von Litauen nicht willkommen, weder bei den Katholiken noch bei den Orthodoxen. Nein, der einzige Grund, der die Tschetschenen hierher geführt haben könnte, ist irgendeine Mission – aber was für eine das gewesen sein könnte, wird jetzt, wo sie tot sind, wohl im Dunkeln bleiben. Oder hätten Sie eine Idee?«
    Martin schüttelte den Kopf. »Das ist mir genauso schleierhaft wie Ihnen.«
     
    Am nächsten Morgen schlenderte Martin nach einem kräftigen Frühstück im einzigen Hotel von Hrodna bedächtig (wenn er zu schnell ging, taten ihm die Rippen weh) die Hauptstraße entlang, vorbei an der Lokalzeitung, die draußen in ihren Vitrinen die neueste Ausgabe mit Fotos von den Krawallen in Susowka ausgehängt hatte, und weiter zur Post. Er ging zu dem Schalter mit einem Telefonsymbol darüber und schrieb die Nummer für die Postbeamtin auf einen Zettel.
    »Zweiundsiebzig, welches Land ist das?«, fragte sie.
    »Israel.«
    »Und welche Stadt in Israel?«
    »Jerusalem.«
    Die Frau notierte »Jerusalem, Israel« auf ein Blatt und wählte die Nummer. Sie bedeutete Martin, den Hörer in der ersten Zelle abzuheben. Er hörte, wie eine Männerstimme in der Leitung sagte: »Das muss ein Irrtum sein – ich kenne niemanden in Weißrussland.«
    »Benny, ich bin’s, Martin.«
    »Was in aller Welt machen Sie denn in Weißrussland?«
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    »Erzählen Sie mir die Kurzfassung.«
    »Selbst die ist zu lang für ein teures Ferngespräch. Hören Sie, Benny, als ich neulich bei Ihnen zu Hause war, haben Sie mir erzählt, der Oligarch wohne in einer Datscha in einem Dorf nicht weit von Moskau. Wissen Sie vielleicht noch, wie das Dorf heißt?«
    »Einen Moment, ich schau in meinem Computer nach.«
    Martin beobachtete die Leute, die vor den anderen Schaltern warteten. Niemand sah irgendwie auffällig aus, was aber nichts heißen musste. Wenn ihn jemand beschattete, würde er mit Sicherheit dafür Leute von hier benutzen.
    Benny kam wieder an den Apparat. »Das Dorf heißt Prigorodnaja.«
    »Prigorodnaja. Danke, Benny.«
    »Gern geschehen. Passen Sie auf sich auf.«

1994: LINCOLN DITTMANN STELLT ETWAS EIN FÜR ALLE MAL KLAR
    Bernice Treffler wusste gleich, als Martin den Raum betrat, dass irgendwas nicht stimmte. Ein Grinsen, das ironisch und verführerisch zugleich sein sollte, umspielte seine Lippen, als fiele eine Sitzung bei einer hauseigenen Seelenklempnerin der CIA für ihn unter die Rubrik Freizeitsport und sie wäre leichtes Spiel für ihn. Er wirkte größer, selbstsicherer, weniger nervös, und es schien, als hätte er seine Emotionen unter Kontrolle. Auch seine Körpersprache war neu für sie – der Kopf war lässig geneigt, die Schultern locker, eine Hand spielte mit Kleingeld in einer Hosentasche. Dass er hinkte, sah man nur, wenn man ganz genau hinschaute. Und sie hätte schwören können, dass sein Haar anders frisiert war, aber um sich zu vergewissern, hätte sie das

Weitere Kostenlose Bücher