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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Zeit das Pseudonym E. J. Allen benutzte, wenn ich mich recht entsinne. Und Alan wiederum brachte ein paar seiner Mitarbeiter mit, unter anderem mich, um einen Nachrichtendienst aufzubauen. Dann kam es zur Schlacht am Antietam, wie sie bei den Nordstaatlern heißt – nach einem Fluss –, die Südstaatler nennen sie die Schlacht von Sharpsburg – nach dem Dorf. Mit Unterstützung von General Joe Hooker konnte McClellan Bobby Lee zwingen, sich mit seinen Truppen, also dem, was noch davon übrig war, nach Virginia zurückzuziehen. Am Antietam hab ich den Elefanten zum ersten Mal gesehen –«
    »Den Elefanten?«
    »So haben wir es genannt, wenn wir eine Schlacht erlebt hatten – dann haben wir gesagt, wir haben den Elefanten gesehen. Nach der Schlacht hat Alan ein paar von uns nach Süden geschickt, um die Schlachtordnung der Konföderierten auszukundschaften, aber Lee, diese hinterlistige Schlange, hat uns reingelegt. Er hatte sich wohl gedacht, dass wir seine Truppenstärke anhand der Rationen schätzen würden, die er ausgeben ließ, denn er ließ die Rationen verdoppeln, wir verdoppelten prompt die Größe seiner Armee, und McClellan kriegte kalte Füße und blieb, wo er war. Daraufhin dachte der alte Abe Lincoln, McClellan wäre der Sache nicht mehr gewachsen und schickte ihn schnurstracks zurück nach Chicago. Alan Pinkerton ist mit ihm abgereist, aber ich bin geblieben und habe für Lafayette Baker gearbeitet, der dabei war, in Washington eine Geheimpolizei aufzubauen. Womit ich zu McClellans Nachfolger komme, Ambrose Burnside, und Fredericksburg.« Lincoln beugte sich vor, nahm das kleine Mikrophon in die Hand und sprach hinein. »He, Doc, hätten Sie nicht Lust, mit mir essen zu gehen, wenn wir hier fertig sind?«
    Bernice Treffler verzog keine Miene und bemühte sich um einen neutralen Tonfall. »Das ist leider ausgeschlossen. Ein Psychiater darf keinen privaten Kontakt zu einem Patienten haben, das würde die Distanz gefährden, die für eine Behandlung des Patienten unabdingbar ist.«
    »Wieso muss denn da eine Distanz bestehen? Einige Psychiater schlafen mit ihren Patienten, um die Distanz zu überbrücken.«
    »So arbeite ich nicht, Lincoln«, sagte sie bemüht scherzhaft. »Vielleicht sind Sie bei mir nicht an der richtigen Adresse –«
    »Sie machen Ihre Sache gut.«
    »Erzählen Sie Ihre Geschichte doch weiter.«
    »Meine Geschichte! Sie halten das also für eine Geschichte!« Er stellte das Mikrophon wieder auf den Tisch. »Sie begreifen noch immer nicht, dass das, was ich hier erzähle, wirklich passiert ist. Mir. In Fredericksburg.«
    »Lincoln Dittmann hat an einem Junior College Geschichte gelehrt«, sagte Dr. Treffler ungehalten. »Er hat seine Abschlussarbeit über die Schlacht von Fredericksburg zu einem Buch ausgearbeitet. Als sich kein Verlag für das Manuskript interessierte, hat er das Buch unter dem Titel ›Kanonenfutter‹ auf eigene Kosten drucken lassen.«
    »In Fredericksburg sind Sachen passiert, die in keinem Geschichtsbuch stehen, auch nicht in ›Kanonenfutter‹.«
    »Zum Beispiel?«
    Lincoln war jetzt sauer. »Na schön. Burnside zog mit der Unionsarmee in einem Gewaltmarsch zum Rappahannock, wo er gegenüber von Fredericksburg zehn geschlagene Tage auf die Ponton-Brücken warten musste, die er angefordert hatte. Lafayette Baker hatte mich Burnsides Stab zugeteilt – ich sollte die Schlachtordnung der Konföderierten ausspionieren, damit Burnside eine ungefähre Vorstellung davon bekam, was ihn auf der anderen Seite erwartete. Fast die gesamten ersten neun Tage verbrachte ich mit einem englischen Fernglas ausgerüstet hoch in der Luft in einem Heißluftballon und fror mir den Hintern ab, aber der senfdicke Dunst, der über dem Fluss hing, lichtete sich nicht, und ich konnte nicht erkennen, was da auf der Hügelkette hinter Fredericksburg vor sich ging. Deshalb beschloss ich, mich bei den Konföderierten einzuschleichen. Ich suchte mir einen halb gesunkenen Fischerkahn, machte ihn wieder flott und setzte vor dem Morgengrauen über. Der Fluss führte Hochwasser, das den Ufersaum auf beiden Seiten in seichtes Sumpfland verwandelt hatte. Ich konnte das Boot nicht bis zum eigentlichen Ufer rudern, deshalb zog ich mir Stiefel und Socken aus, rollte die Hosenbeine hoch und watete durch den Schlamm, bis ich festen Boden unter den Füßen hatte. Als ich die Uferböschung hochschaute, sah ich, dass ich mich direkt unterhalb der Irrenanstalt befand. Die Arzte und Pfleger hatten vor

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