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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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einschlug. Das Kissen mit den Knochen des Heiligen wurde herausgenommen, und die Bauernarmee stieß die große Eingangstür auf und strömte zur Kirche hinaus. Die Katholiken draußen stimmten Triumphgeheul an. Geschwächt von den Schmerzen in der Brust, sah Martin, wie der Metropolit auf den Knien vor dem Schrein lag und schluchzte wie ein Kind.
     
    Der litauischen Polizei gelang es schließlich mit der Unterstützung einer eiligst aus dem Norden herangekarrten Armeeeinheit, die streitenden Parteien zu trennen, doch erst nachdem zwei Katholiken und ein junger orthodoxer Priester erschlagen worden waren und es auf beiden Seiten Dutzende von Verwundeten gegeben hatte. Ärzte und Sanitäter hasteten über das Schlachtfeld vor der Kirche, behandelten Brüche und Kopfwunden und brachten die Schwerverletzten ins Krankenhaus in Alytus. Martin wurde der Brustkorb bandagiert, anschließend eskortierten ihn bewaffnete Soldaten zu dem im Pavillon eingerichteten Kommandostand, wo er von einem Oberst mit gezwirbeltem Schnurrbart befragt werden sollte, dem offenbar mehr daran lag, im Fernsehen einen guten Eindruck zu machen, als den Streit zwischen den Orthodoxen und den Katholiken in der Stadt zu beenden. Er gab der Reporterin aus Vilnius gerade mit angemessen ernster Miene ein Interview, und als es zu Ende war, fragte er, wann es denn gesendet würde, um sogleich einen Adjutanten anzuweisen, seine Frau in Kaunas anzurufen, damit sie seinen Fernsehauftritt nicht verpasste. Nachdem das Fernsehteam gegangen war, um die Verwundeten zu filmen, wandte sich der Offizier Martin zu und bat ihn als Erstes, sich auszuweisen. Um sicherzugehen, dass der Journalist namens Kafkor in seinem Artikel auch den katholischen Standpunkt berücksichtigte – wie die überwiegende Mehrheit der Litauer war der Oberst Katholik –, bestand er darauf, Martin höchstpersönlich in einem Jeep zum Bischof der Erzdiözese zu bringen, der extra aus Vilnius gekommen war, um die katholischen Priester der Diözese zu unterstützen.
    Der Bischof war ein fröhlicher, kleiner Mann mit breiten Hüften und schmalen Schultern, was ihm in seiner karmesinroten, knöchellangen Robe und der bestickten Stola die Silhouette einer Kirchenglocke verlieh. Das Gespräch fand im Gemüsegarten hinter der Kirche statt. Zwei weiße Störche betrachteten die Szene aus dem großen Nest auf dem Glockenturm. »Daten«, begann der Bischof seinen Vortrag, den er offensichtlich nicht zum ersten Mal hielt, »sind nützliche Haken, an denen man die Geschichte aufhängen kann. Sind Sie nicht auch dieser Ansicht, Mr. Kafkor?«
    Martin, dem die Schmerzen in der Brust arg zu schaffen machten, wischte sich mit den Zipfeln des weißen Seidentuchs, das er sich um den Hals gebunden hatte, den Schweiß von der Stirn. »Mm-hm.«
    Der Armeeoffizier drückte Martin Block und Stift in die Hand.
    »Sie müssen sich Notizen machen«, flüsterte er.
    Während Martin schrieb, schritt der Bischof zwischen den Beeten auf und ab, wobei der Saum seiner Robe mit jedem Schritt schmutziger wurde, und erzählte die Geschichte des heiligen Gedymin.
    »Gedymin hat, was jedes Kind in Litauen weiß, Großlitauen geschaffen, ein Fürstentum, das sich vom Schwarzen Meer bis Moskau und weiter bis an die Ostsee erstreckte. Er herrschte von der Hauptstadt Vilnius aus, die er im Jahre Unseres Herrn 1323 gründete. Dreiundsechzig Jahre später, im Jahre Unseres Herrn 1386, nahmen die Litauer durch die Gnade Gottes den Katholizismus als Staatsreligion an, und auf Anweisung des Großfürsten ließ sich die gesamte Bevölkerung an den Ufern der Memel taufen. Zu der Zeit, so kann man mit Fug und Recht sagen, sind die letzten litauischen Heiden im Mülleimer der Geschichte verschwunden.«
    »Haben Sie alles mitbekommen?«, fragte der Armeeoffizier.
    Martin nickte.
    »Die erste katholische Kirche«, fuhr der Bischof atemlos fort, »wurde zehn Jahre nach der Massentaufe genau an dieser Stelle errichtet und in den folgenden Jahrhunderten erweitert.« Er deutete auf den Glockenturm und die beiden gewölbten Flügel. »Die Gebeine des Heiligen Gedymin oder das, was von ihm noch übrig war, nachdem tartarische Banditen die ursprüngliche Krypta in Vilnius geschändet hatten, wurden hier in die katholische Kirche in Susowka gebracht, wo sie von Anfang des vierzehnten Jahrhunderts an blieben, bis Litauen 1795 unter russische Herrschaft kam. Da die Russen Orthodoxe waren, stahlen sie die Gebeine des Heiligen aus der katholischen Kirche

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