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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Kehle brannte, lenkten mich ab. Der Offizier mit den Krücken blickte auf die Asche, wartete darauf, dass sie sich unter ihrem eigenen Gewicht krümmte und herabfiel, damit sie die Exekution endlich hinter sich bringen konnten. Ich, der ich an der Zigarette zog, nahm die Asche ebenfalls wahr. Plötzlich schien mein Leben von ihr abzuhängen. Der Schwerkraft und jeder Logik zum Trotz wurde sie länger als der ungerauchte Teil der Zigarette.«
    »Und dann?«
    »Und dann blies ein Windhauch vom Fluss den fernen Klang einer Melodie herüber, eine Blaskapelle spielte Yankee Doodle. Im Schutz der Dunkelheit hatten die Unionstruppen endlich ihre Ponton-Brücken über den Fluss gebaut und griffen an. Von Fredericksburg her waren vereinzelt Schüsse zu hören: Die Nachhut der Konföderierten tat so, als sollte die Stadt verteidigt werden, um die Unionisten tiefer in die Falle zu locken, die auf sie wartete, wenn sie Fredericksburg eingenommen hatten und über die Ebene Richtung Richmond zogen. Als sie die Musik und die Musketenschüsse hörten, richteten sich alle Blicke auf den Fluss. Bobby Lee kam angeritten und zügelte sein Pferd neben Jackson. Die beiden Generäle plauderten miteinander, und Lee zeigte auf Chatham Mansion, wo Burnside seinen Befehlsstand eingerichtet hatte, in Sichtweite am anderen Flussufer. Dann blickte Lee zufällig in meine Richtung und sah mich. Was zum Teufel ist da unten los?, rief er. Der Offizier mit den Krücken erwiderte, ich sei ein Spion der Unionisten, den sie am Vorabend erwischt hätten und jetzt als Abschreckung bei lebendigem Leibe begraben würden. Lee sagte etwas zu Jackson, richtete sich dann in den Steigbügeln auf, nahm seinen weißen Hut ab und rief: Hier werden heute noch genug Menschen sterben. Bindet ihn an einen Baum und lasst ihn bei der Schlacht zuschauen. Wenn sie vorbei ist, lasst ihn laufen. Und so kam es, dass ich den Elefanten noch einmal gesehen habe – ich wurde Zeuge des grausamen Gemetzels, das sich an jenem schrecklichen Dezembertag vor Marye’s Heights abspielte. Burnsides Armee kam aus Fredericksburg angestürmt, formierte sich und griff mit flatternden Fahnen an. Ein junger Trommler schlug den Takt dazu, bis ihm eine Kanonenkugel den Kopf abriss. Es war von Anfang bis zum Ende ein Massaker. Den ganzen Nachmittag über griffen die Unionstruppen wieder und wieder den Hohlweg an, nur um dort auf der Stelle niedergemäht zu werden. Ich zählte insgesamt vierzehn Angriffe, aber keiner kam auch nur an die Mauer heran. Die Sache war so aussichtslos, dass die Konföderierten, die vom Hügel aus zuschauten, irgendwann anfingen, den Mut der Yankees zu bejubeln. Ich sah die Scharfschützen der Südstaatler, die die Hände in Wassereimer tauchten, damit sie ihre glühend heiß geschossenen Whitworths überhaupt noch anfassen konnten. Irgendwann sah ich eine Gruppe Unionssoldaten, die hinter ein paar Backsteinhäusern auf dem freien Feld Deckung suchen wollten, doch die Yankee-Kavallerie prügelte sie mit der flachen Seite ihrer Säbel zurück in den Kampf. Es war schauerlich, das mit ansehen zu müssen.«
    »Und als es vorbei war, durften Sie einfach so quer übers Schlachtfeld zurück zu Ihren Linien spazieren?«
    »Was das Schlachtfeld betrifft, schweigen wir lieber davon. Die Temperatur war am Abend unter den Gefrierpunkt gesunken, und mir klapperten die Zähne, als ich mich zwischen den Löchern im Boden hindurchmanövrierte. Ich riss mir das Pappschild vom Rücken und ging auf die Flammen zu, die ich in Fredericksburg lodern sah. Ich stolperte über tote Pferde und Männer, trat auf Körper, die mit abgerissenen Gliedern in Granatenkratern lagen. Selbst in der winterlichen Kälte lockten die blutenden Wunden die Bremsen an. Die verstümmelten Unionssoldaten, die noch am Leben waren, schichteten die Toten übereinander und krochen darunter, um sich zu wärmen. Leider konnte ich nichts für sie tun. Ich nahm einen sterbenden Soldaten in die Arme, der hinten auf seinem Hemd einen Zettel mit seinem Namen und seiner Anschrift festgesteckt hatte. Er zitterte und stammelte Sarah, Liebste, und starb in meinen Armen. Ich nahm den Zettel mit, um ihn seinen Hinterbliebenen zu schicken, verlor ihn aber dann im Durcheinander dieser Nacht. Reiterlose Pferde scharrten mit den Hufen auf dem gefrorenen Boden nach Futter, aber das einzige Futter in Fredericksburg am 13. Dezember 1862 war Kanonenfutter.«
    »Sie kamen in die Stadt –«
    »Fredericksburg brannte lichterloh, und ich

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