Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
bestimmen können?«
    Dr. Treffler räusperte sich. »Das eigentliche Trauma, der Auslöser dieser multiplen Persönlichkeiten, liegt nach wie vor im Dunkeln, wie ich leider gestehen muss.« Sie hätte schwören können, dass Crystal Quest erleichtert wirkte. »Was nicht heißen soll, dass es nicht irgendwann im Laufe der weiteren Behandlung an die Oberfläche kommt. Ich möchte unbedingt an das Trauma herankommen, nicht nur im Interesse des Patienten, sondern auch, weil ich vorhabe, in einer Fachzeitschrift einen Aufsatz –«
    »Über diesen Fall schreiben Sie keinen Aufsatz, Dr. Treffler. Weder jetzt noch sonst irgendwann. Und die Behandlung wird auch nicht fortgesetzt. Wie viele von diesen multiplen Persönlichkeiten haben Sie feststellen können?«
    Dr. Treffler machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. »Drei«, erwiderte sie knapp. »Der Patient nennt sie Legenden, ein Begriff, der Ihnen bekannt sein dürfte. Da ist zunächst Martin Odum, dann ein Ire namens Dante Pippen und schließlich ein gewisser Lincoln Dittmann, ein Historiker, der sich auf den amerikanischen Bürgerkrieg spezialisiert hat.«
    »Deutet irgendwas auf eine vierte Legende hin?«
    »Nein. Gibt es denn eine vierte Legende, Mrs. Quest?«
    Quest überging die Frage. »Mit wie vielen dieser Legenden hatten Sie persönlich zu tun?«
    »Mit Martin Odum natürlich. Und in der letzten Sitzung vorige Woche habe ich Lincoln Dittmann kennen gelernt.«
    »Woher wissen Sie so genau, dass es Lincoln war?«
    »Die Person, die in mein Büro kam, war ganz anders als der Martin Odum, den ich kannte. Als mir klar wurde, dass ich Lincoln Dittmann gegenüber saß und das dann auch gesagt habe, hat er es zugegeben.«
    »Kommen Sie zum Punkt. Ist Martin Odum nicht ganz richtig im Kopf? Sollten wir ihn einweisen lassen?«
    »Sowohl als auch, Mrs. Quest. Lincoln Dittmann ist zweifellos nicht ganz richtig im Kopf, wie Sie es ausdrücken. Er ist fest davon überzeugt, bei der Schlacht von Fredericksburg dabei gewesen zu sein. Ein Wort von Ihnen, und ich kann ein Dutzend Ärzte aufmarschieren lassen, die bescheinigen werden, dass er psychisch krank ist. Wenn Sie wollten, könnten Sie Lincoln Dittmann – oder sein Alter Ego, den Iren Dante Pippen – für alle Zeit einweisen lassen.«
    »Was ist mit Martin Odum?«
    »Martin leidet darunter, dass er nicht weiß, welche von den drei aktiven Identitäten sein wahres Ich ist. Aber er kommt einigermaßen gut zurecht, er ist in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, für sich zu sorgen, vielleicht sogar eine Beziehung zu einer Frau zu haben, wenn sie mit seiner uneindeutigen Persönlichkeit klarkommt.«
    »Kurz gesagt, keiner, der Martin in einer Kneipe oder auf einer Party kennen lernt, würde ihn für gestört halten?«
    Dr. Treffler nickte nachdenklich. »Solange er nicht in der Lage ist, die Erinnerung an das ursächliche Kindheitstrauma auszugraben, bleibt er in diesem scheintoten Zustand – einigermaßen funktionsfähig, dabei aber diffus verängstigt.«
    »Okay. Ich will, dass Sie die Behandlung beenden. Ich schicke Karl Tripp zu Ihnen in die Klinik, und er wird alle, restlos alle Notizen und Aufzeichnungen abholen, die Sie während Ihrer Sitzungen gemacht haben. Ich muss Sie wohl nicht daran erinnern, dass die Sache streng geheim ist und Sie mit keiner Menschenseele darüber sprechen dürfen.«
    Dr. Treffler fiel etwas ein, was sie Martin in einer der ersten Sitzungen gesagt hatte. »Auch wenn ich die Namen ändere – zum Schutz der Schuldigen?«
    »Die Sache ist nicht zum Lachen, Dr. Treffler.« Crystal Quest drückte einen Knopf am Schreibtisch. »Tripp bringt Sie in die Lobby. Danke, dass Sie sich herbemüht haben.«
    »Das war alles?«
    Mrs. Quest hievte sich aus dem Korbstuhl. »Das war definitiv alles«, bestätigte sie.
    Dr. Treffler stand auf, und in ihren Augen glänzte plötzlich eine Erkenntnis. »Sie wollten gar nicht, dass ich das Trauma bestimme. Sie wollen nicht, dass Martin gesund wird.«
    Quest roch das Parfüm in dem fensterlosen Raum. Sie war verblüfft, dass Bernice Trefflers professionelle Erscheinung Weiblichkeit verströmte, was sie von sich selbst nun wirklich nicht behaupten konnte. »Das sehen Sie falsch«, erwiderte DDO Crystal Quest gereizt. »Gesund zu werden könnte in Martins Fall tödlich sein.«

1997: MARTIN ODUM LERNT DIE KATOWSKI-ERÖFFNUNG KENNEN
    Martin trat vor dem überfüllten Flughafen auf die Straße und hob die Hand, um eines der inoffiziellen Taxis

Weitere Kostenlose Bücher