Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
Amerika, also hör auf mit Russisch.«
    »Was hast du mit ihr zu tun? Wieso kennt ihr euch?«
    Stella wirkte so verblüfft wie Samat. »Ich frage mich gerade, wieso ihr euch kennt.«
    »Unsere Wege haben sich mal gekreuzt«, erwiderte Martin.
    Samat sank auf die Couch. »Wie hast du mich gefunden, Estelle?«
    Martin nahm einen Stuhl, drehte ihn mit der Rückenlehne nach vorn und setzte sich rittlings Samat gegenüber. Die Pistole stützte er auf eine Querstrebe der Lehne und zielte auf Samats Brust. Stella schob sich auf einen Barhocker und warf Samat die Ansichtskarte vor die Füße. Er hob sie auf, betrachtete das Foto, drehte die Karte dann um und sah auf den Poststempel. »Zaccheus sollte sie in Rochester einwerfen«, jammerte er. »Der Idiot ist nur bis Belfast gefahren. Kein Wunder, dass ihr die zwei Häuser hier gefunden habt.« Er sah Martin forschend an, schaute dann wieder auf die Postkarte. »Josef, du warst in Prigorodnaja. Du hast meine Mutter besucht.«
    »Wieso nennt er dich Josef?«, fragte Stella, jetzt vollends perplex.
    Martin ließ Samat nicht aus den Augen. »Ich hab dich um ein, zwei Tage verpasst. Vom Priester weiß ich, dass du ihm nur kurz das kleine Kreuz aus dem Holz des Wahren Kreuzes gegeben hast und dann gleich wieder abgeflogen bist.«
    »Musst du mit der Waffe auf mich zielen?«
    Stella antwortete für ihn. »Unbedingt, schon zu meiner Beruhigung.«
    Samat wischte sich die Stirn mit einem Ärmel ab und fragte: »Josef, an was kannst du dich alles erinnern?«
    »An alles.« Vor seinem geistigen Auge sah er wieder die Schwarzweißfotos, die ihm Tscheklachwili in Moskau gezeigt hatte; ein ausgemergelter Mann, den der Russe Kafkor, Josef genannt hatte, watete splitternackt mit einer Dornenkrone auf dem Kopf von dem Ruderboot ans Ufer, gefolgt von den beiden Wachen in gestreiften Hemden. »Ich erinnere mich an jede Einzelheit. Ich erinnere mich, dass ich so lange gefoltert wurde, dass ich jedes Zeitgefühl verlor.«
    Stella beugte sich vor. »Wer hat dich gefoltert?«, fragte sie im Flüsterton.
    »Die Männer in den gestreiften Hemden«, sagte Martin. »Die ehemaligen Marineoffiziere, die die Datscha in Prigorodnaja bewacht und mich über den Fluss geschafft haben …« Er fixierte Samat. »Ich erinnere mich an die Zigaretten, die mir auf der Haut ausgedrückt wurden. Ich erinnere mich an die große Sicherheitsnadel, die mir zwischen den Schulterblättern durchs Fleisch gestochen wurde, um das Pappschild zu befestigen, auf dem Spion Kafkor stand. Ich erinnere mich daran, wie ich über die Lesnia gebracht wurde und alle Straßenarbeiter mich anglotzten. Ich erinnere mich daran, wie die Wachen mich immer weiter gestoßen haben, bis zu dem Loch in der Straße.«
    Samat fing an zu keuchen. Als er wieder sprechen konnte, sagte er: »Du musst mir glauben, Josef, ich hätte dich gerettet, wenn ich irgendwie gekonnt hätte.«
    »Stattdessen hast du Kafkor, dem Spion, eine letzte Zigarette gegeben.«
    » Du erinnerst dich wirklich! «
    Stella blickte von einem zum anderen. Sie konnte förmlich ihren Vater hören, der sie belehrte, dass es im Leben von Spionageagenten immer mehr Fragen als Antworten geben würde.
    Samat wollte in seine Strickjacke greifen. Martin spannte den Hahn der Pistole. Das Klicken hallte förmlich durch den Raum. Samat erstarrte. »Ich brauche dringend eine Zigarette«, sagte er schwach. Er hielt die Jacke auf und griff ganz langsam in die Innentasche, aus der er eine Packung Marlboro holte. Er zog eine Zigarette heraus, riss ein Streichholz an und führte die Flamme an die Spitze der Zigarette. Seine Hand zitterte so stark, dass er sie mit der anderen festhalten musste, bis die Zigarette endlich aufglühte. Er nahm einen gierigen Zug und hielt die Zigarette dann zwischen Daumen und Mittelfinger vom Körper weg. Er sah zu, wie sich der Rauch zur Deckenlampe kringelte. »Woran kannst du dich sonst noch erinnern, Josef?«
    Martin glaubte fast, die heisere Stimme des russischen Agenten zu hören, der unter der Legende Archip Tscheklachwili lief. Er wiederholte, was der ihm erzählt hatte, wobei sich seine Stimme und die des Russen in seinem Kopf mitunter überlappten. »Der Besitzer der Traktorwerkstatt in Prigorodnaja hat mich mit einem Abschleppwagen nach Moskau gebracht. Er wollte mich in ein Krankenhaus bringen. An einer roten Ampel auf der Ringstraße, nicht weit von der amerikanischen Botschaft, bin ich aus dem Wagen gesprungen und im Dunkeln verschwunden.«
    »Ja, ja, das

Weitere Kostenlose Bücher