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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Marktwirtschaft zu verwandeln, löste eine Hyperinflation aus und vernichtete die Renten und Ersparnisse von zig Millionen Russen. Sie hat das Land ins wirtschaftliche Chaos gestürzt –«
    »Das Konzept stammte von Crystal Quests DDO-Leuten. Und mein Onkel hat Jelzin dann davon überzeugt, dass eine freie Marktwirtschaft die Missstände in Russland beseitigen würde.«
    »Die Privatisierung sowjetischer Industrieanlagen hat dazu geführt, dass das Land ausgeplündert und seine Reichtümer in die Hände des Oligarchen und einer Hand voll Insidern geschleust wurden –«
    Samat rieb die Handflächen aneinander. »Hinter allem steckte das CIA-Direktorat für Operationen – die Hyperinflation, die Privatisierung, sogar Jelzins Entscheidung, Tschetschenien anzugreifen und die russische Armee in einen Krieg zu verwickeln, den sie nicht gewinnen konnte. Du verstehst, was die Amerikaner antrieb – der Kalte Krieg war zwar vorbei, aber Amerika hat nicht die mächtige Sowjetunion besiegt, um dann tatenlos mit ansehen zu müssen, dass ein mächtiges Russland wie Phönix aus der Asche aufsteigt. In Langley konnte man das Risiko nicht eingehen, dass der Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus funktionierte. Also haben sie sich an den Oligarchen gewandt, der die kommunistischen Apparatschiks gehasst hat. Ihm war es nur recht, Russland und die Russen in einem wirtschaftlichen Sumpf versinken zu sehen, und so konnten sie ihn dazu bringen, seinen beträchtlichen Einfluss auf Jelzin auszunutzen.«
    Stella, die Martin aufmerksam beobachtete, sah, wie er das Gesicht verzog. Einen Augenblick lang dachte sie, dass ihm sein Bein wieder wehtat. Doch dann begriff sie, dass das, was Samat erzählte, ihm Schmerzen bereitete: Martin hatte die nackte Wahrheit erkannt, die in Samats Geschichte verborgen lag. Und auch ihr war sie nicht verborgen geblieben. »Die CIA hat Russland beherrscht!«, entfuhr es ihr.
    »Sie hat Russland zu Tode beherrscht«, sagte Martin.
    »Das war ja das Schöne daran«, sagte Samat mit vor Triumph schriller Stimme. » Wir haben den Russen heimgezahlt, was sie den Ugor-Shilows angetan haben. «
    Martin erinnerte sich, was Crystal Quest an dem Tag zu ihm gesagt hatte, als sie ihn in Xings Restaurant unter dem Billardsalon bestellt hatte. Wir haben nicht Ihr Gewissen engagiert, nur Ihren Verstand und Ihren Körper. Und dann sind Sie eines schönen Tages aus Ihrer Figur ausgestiegen – aus allen Ihren Figuren – und haben, wie man so schön sagt, moralisch Stellung bezogen.
    Damals hatte Martin nicht den leisesten Schimmer gehabt, wovon sie redete. Jetzt hatten die Puzzleteilchen ihren Platz gefunden. Jetzt verstand er, warum sie ein Gipfeltreffen in Langley einberufen hatten, um darüber zu entscheiden, ob sie seinen Vertrag beenden wollten – oder sein Leben.
    Samat zog erschöpft an der Zigarette, um seine Nerven zu beruhigen. Martin merkte, dass er auf die Asche an Samats Zigarette starrte und darauf wartete, dass sie sich unter ihrem eigenen Gewicht bog und herabfiel. Das Leben schien von ihr abzuhängen. Der Schwerkraft und jeder Logik zum Trotz wurde sie länger als der ungerauchte Teil der Zigarette. Für Martin stellte die Asche eine Verbindung zu dem nackten Mann dar, der am Rand des Lochs in der Straße kniete, dessen Gesicht mit vor Entsetzen hohlen Augen beim Blick über die Schulter auf ein Schwarzweißfoto gebannt worden war.
    Auch Samat bemerkte die Asche. Er flüsterte, lallte fast vor Angst: »Bitte … Josef … Für meine Mutter, die dich wie einen Sohn geliebt hat … Erschieß mich nicht!«
    »Ich weiß nicht, ob du ihn erschießen solltest«, sagte Stella. »Aber andererseits weiß ich auch nicht, ob du es nicht tun solltest. Was hättest du davon, wenn du ihn erschießt?«
    »Rache ist ein Ausdruck von geistiger Normalität. Wenn ich ihn erschieße, würde ich mich endlich … vollkommen normal fühlen.«
    Martin blickte wieder Samat an, der jetzt laut durch den Mund atmete, in panischer Angst, dass jeder Atemzug sein letzter sein könnte. »Wo ist der Oligarch?«, fragte Martin.
    »Ich weiß es nicht.«
    Martin hob die Tula-Tokarev auf Augenhöhe und zielte auf Samats Stirn, genau zwischen die Augen. Stella wandte sich ab. »Als du in Qiryat Arba gelebt hast«, rief er Samat in Erinnerung, »hast du häufig eine Nummer mit der Vorwahl 718 angerufen.«
    »Die Telefonunterlagen wurden vernichtet. Woher weißt du das?«
    »Stella ist eingefallen, dass sie mal eine deiner Telefonrechnungen

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