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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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kratzte, rückte Martin noch einen Fünfziger raus.
    »Schon erstaunlich, wie so ein Stück bedrucktes Papier dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen kann«, sagte Macy, faltete den Schein zusammen und steckte ihn zu den anderen beiden in seine Hemdtasche. »Bis auf ein einziges Haus ist die McGuffin Ridge Road fest in Amish-Hand. Das Haus, das Sie suchen, ist das zweite auf Ihrer Ansichtskarte.«
    Stella wandte sich an Martin. »Das erklärt, warum Samat seiner Mutter gerade diese Postkarte geschickt hat.«
    »Stimmt«, pflichtete Martin bei. Er nickte Macy zu. »Tolle Flotte haben Sie da«, bemerkte er mit Blick auf die gerahmten Fotos an der Wand. »Haben Sie auf all den Schiffen gedient?«
    »Ich war in meinem ganzen Leben noch nie richtig auf See«, kicherte Macy. »Hab nur auf denen gedient, wenn sie im Trockendock waren, weil ich nämlich sofort seekrank werde, wenn ein Schiff in See sticht.«
    »Dann wären Sie besser zur Army gegangen«, sagte Stella.
    Macy schüttelte resolut den Kopf. »Ich hab nun mal die Navy geliebt«, sagte er. »Die Schiffe. Nur das Meer unter ihrem Kiel hab ich nicht so geliebt. Wissen Sie, ich wär sofort wieder dabei, wenn sie mich nehmen würden. Jawohl, sofort.«
    Martin hielt mit dem Packard an einer Tankstelle am Rande von Belfast und kaufte eine Flasche Wasser und eine Straßenkarte vom Allegheny County, während Stella zur Toilette ging. Als sie kurz darauf auf der Route 19 zur Stadt hinausfuhren, spürte er, wie sich ihre Hand auf seinen Oberschenkel legte. Sein Körper verkrampfte sich – mit richtiger Nähe, der Nähe nach dem Sex, hatte Martin Odum so seine Schwierigkeiten. Wenn er sich selbst einordnen müsste, sah er sich irgendwo zwischen Dante Pippen, der in der Liebe und im Krieg die gleiche frenetische Energie aufbrachte, und Lincoln Dittmann, der einmal nach Rom geflogen war, um nach einer Hure zu suchen, die er aus Brasilien kannte. Stella spürte die Anspannung unter ihren Fingern. »Ich hab Mrs. Sayles nicht angelogen«, sagte sie. »Es war wirklich sehr schön, danke. Alles in allem war die letzte Nacht ein toller Auftakt.«
    Martin räusperte sich. »Es macht mich verlegen, über so was zu sprechen.«
    »Sollst du ja auch gar nicht«, erwiderte Stella mit Lachen in der Stimme. »Du sollst nur zuhören, wie ich darüber spreche. Und hin und wieder ein aufmunterndes Mm-hm von dir geben.«
    Martin warf ihr einen Blick zu und sagte: » Mm-hm. «
    Sie erreichten die Straße nach Friendship. Martin bog auf die White Creek Road ab und fuhr langsamer. Wenn der Highway bergab führte, verlor Martin den kleinen Fluss aus den Augen, aber auf jeder Anhöhe kam er wieder in Sicht. Das Wasser des White Creek erinnerte ihn an die Lesnia, die parallel zu der kleinen Straße verlief, die Prigorodnaja mit der Landstraße nach Moskau und St. Petersburg verband. Die Farmhäuser entlang der White Creek Road standen im Abstand von einer viertel bis einer halben Meile dicht an der Straße, zum Teil mit Tischlereien oder Webereien auf dem Hof, die Kostproben ihrer Produkte auf Plattformen oder Veranden ausstellten. Bei allen Häusern war das Verbindungskabel zum nächsten Strommast abgeklemmt. In den Garagen standen Einspänner, und auf den angrenzenden Weiden grasten Kutschpferde. Die Kinder, die hin und wieder an die Straße gelaufen kamen, um einen scheuen Blick auf das vorbeifahrende Auto zu werfen, waren mit ihren schwarzen Anzügen und langen Kleidern wie kleine Erwachsene gekleidet.
    An der nächsten Kreuzung bog Martin in die McGuffin Ridge Road ein, die sich in nichts von der White Creek Road unterschied – auch hier sanfte Felder und Wiesen, die Häuser dicht an der Straße und alle offensichtlich ohne Stromversorgung. Nach gut dreieinhalb Meilen wurde Stellas Griff auf Martins Oberschenkel fester.
    »Ich sehe sie«, sagte er.
    Der Packard rollte langsam an den zwei identischen, dicht nebeneinander stehenden Farmhäusern vorbei. Auf einer kleinen Anhöhe gegenüber stand die verwitterte Scheune mit einer Wetterfahne auf dem Mansardendach, auf der ein aus Metall gefertigter amerikanischer Adler mit ausgebreiteten Schwingen saß. Hinter dem ersten Haus waren zwei Männer in Latzhosen damit beschäftigt, Bretter durchzusägen. Eine Frau saß in einem Schaukelstuhl auf der Veranda und nähte an einem Quilt, der ihr schon fast bis zu den Füßen reichte. Als der Packard an dem zweiten Haus vorbei war, drehte Stella sich um und schnappte nach Luft.
    »Das Haus hängt noch am

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