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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Grund. Die Chinesen sagen, dass Bienenstiche stimulierend auf deinen …

1997: OSKAR ALEXANDROWITSCH KASTNER MERKT, WIE SCHWER EINE ZIGARETTE IST
    Die beiden Männer in der Arbeitskleidung der Stadtwerke parkten ihren Van in der schmalen Straße zwischen der President und der Carroll Street und gingen zu dem einzigen Garten, der durch einen Zaun geschützt war. Einer der Männer murmelte etwas in ein Walkie-Talkie, lauschte auf die Antwort und nickte daraufhin seinem Kollegen zu. Der zweite Mann holte einen Schlüssel hervor, öffnete das Tor im Zaun und stellte mit demselben Schlüssel die Alarmbox auf der anderen Seite ab. Auf leisen Kreppsohlen schlichen die beiden zur Veranda und die Stufen hinauf. Mit einem zweiten Schlüssel verschafften sie sich Einlass in die Küche, wo sie den Code in die dortige Alarmanlage eintippten. Einige Minuten lang standen sie reglos da, die Augen an die Decke geheftet. Als sie das weiche Schaben eines Rollstuhls hörten, der über ihren Köpfen einen Flur entlangfuhr, förderten die beiden Männer Pistolen mit Schalldämpfer zutage und gingen langsam die Treppe hinauf. Im ersten Stock war aus dem Zimmer zur Straße hin ein Radio zu hören. Sie hielten die Pistolen mit beiden Händen, den Lauf nach oben gerichtet, schlichen bis zu der geschlossenen Tür und drückten sich rechts und links davon gegen die Wand. Einer der Männer tippte sich an die Nase, um dem anderen zu verstehen zu geben, dass er den Rauch einer Zigarette roch. Ihre Beute war in dem Zimmer. Sein Gefährte entblößte die Zähne mit einem verkniffenen Lächeln, packte die Klinke und stieß die Tür auf. Sofort sprangen die beiden geduckt in den Raum.
    Oskar Alexandrowitsch Kastner saß in seinem Rollstuhl am Fenster und ölte den Schussmechanismus einer sowjetischen PPSh 41, einer Maschinenpistole aus dem Zweiten Weltkrieg, die in tadellosem Zustand war. Rauch stieg von einer Zigarette im Aschenbecher auf. Kastners dicke Augenlider blinzelten langsam, als er die Eindringlinge sah. Einer wirkte wesentlich älter als der andere, aber der jüngere Mann, der den anderen mit einem Wink aufforderte, die Tür zu schließen, schien das Sagen zu haben.
    » Wy Russki? « , fragte Kastner.
    » Da. Ja Russki « , erwiderte der jüngere Stadtwerke-Mann. » I gdje vasha dotsch? «
    Kastner schielte zu dem Tisch, auf dem die stets geladene Tula-Tokarew mit Perlmuttgriff lag, eine Pistole aus den dreißiger Jahren, aber er wusste, dass er sie nicht erreichen konnte. » Ja ne znaju « , erwiderte er. Er würde ihnen auf keinen Fall verraten, dass Stella auf dem Weg nach Israel war, in Begleitung eines CIA-Agenten, der Privatdetektiv geworden war und über einem Chinarestaurant wohnte. Er fragte sich, wie die beiden Killer durch den Zaun und in die Küche gelangt waren, ohne den Alarm auszulösen. »Ihr habt euch Zeit gelassen«, knurrte Kastner. »Neun Jahre.« Er legte die PPSh hin und steuerte den Rollstuhl mit Hilfe des Joysticks so, dass er den Eindringlingen den Rücken zuwandte.
    » Kto vas postal? « , fragte er.
    » Oligarch « , sagte der jüngere Mann mit einem harten Auflachen.
    Kastner blickte zum Fenster hinaus und sah, wie zwei kleine Lubawitscher Jungen, schwarz gekleidet wie ihre Väter, die Straße hinuntereilten. Er wusste von Elena, dass sie jeden Tag mit dem Erscheinen des Messias rechneten, der die Menschheit erlösen würde. Vielleicht war der Messias ja schon gekommen, und diese Jungs waren in Wahrheit Engel auf dem Weg zu ihm, um ihn zu begrüßen. Er selbst würde mit Sicherheit dort landen, wo Engel nichts zu suchen hatten. Kastner keuchte auf, als er die Nadelspitze spürte, die sich dicht neben dem Schulterblatt in seine Haut bohrte. Zu seiner Zeit hatten die fürs Grobe zuständigen KGB-Spezialisten ein geschmackloses, farbloses Rattengift bevorzugt, das das Blut verdünnte und einen sofortigen Atemstillstand bewirkte. Die Killer des Oligarchen benutzten bestimmt etwas Komplizierteres, das nicht so leicht nachzuweisen war, vielleicht eine von diesen neumodischen adrenalinähnlichen Substanzen, die zu Magenbluten und schließlich zum Tode führten, oder noch besser ein Gerinnungsmittel, das eine Herzkranzarterie verstopfte und einen Infarkt auslöste. Für den Fall, dass einer der Engel wissen wollte, wie er hieß, kramte Kastner in seinem Gedächtnis nach dem Namen, den er gehabt hatte, bevor das FBI ihm das Pseudonym Oskar verpasste. Es ärgerte ihn, dass ihm nicht einfallen wollte, wie seine Mutter ihn

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