Die kalte Legende
schob sich an dem dicken Teppich vorbei, der als Tür diente. Die verkohlten Balken, die das notdürftig geflickte Dach stützten, waren weiß gestrichen, verströmten aber noch immer einen Brandgeruch. Dante fand einen Platz an der provisorischen Theke zwischen zwei türkischen Matrosen, die sich gegenseitig aufrecht hielten, und einem portugiesischen Proviantmeister in zerknitterter blauer Uniform.
»Und, was darf’s sein?«, rief der Barmann, dessen raue Stimme einen unüberhörbaren irischen Einschlag hatte.
Dante fächerte ein Loch in den Zigarettenqualm, der ihm die Sicht versperrte, und sprach hindurch. »Bier, und nicht zu knapp«, rief er, »je wärmer, desto besser.«
Der Barmann, ein dicker Mann mit wirrem, rostrotem Haar, das ihm über die Augen fiel, und einem bis zum Hals zugeknöpften weißen Priesterhemd, fischte eine große Flasche bulgarisches Bier aus einem Karton zu seinen Füßen, machte sie mit einem Flaschenöffner auf, presste den Daumen auf den Flaschenhals und schüttelte das Bier, um es aufzuschäumen. Dann stellte er die Flasche vor Dante auf die Theke. »Und möchte Eure Lordschaft noch ein Glas dazu?«, fragte er grinsend.
»Kostet das extra?«, erwiderte Dante.
»Wieso sollte es? Das Bier ist schon teuer genug.« Er schob Dante ein frisch gespültes Glas über den Tresen. »Was hast du gesagt, von welchem Schiff du kommst?«
»Ich habe gar nichts gesagt«, konterte Dante. »Die H. M. S. Pinafore.«
Das Lächeln auf dem Gesicht des Barmannes erstarrte. »Hast du H. M. S. Pinafore gesagt?«
Dante füllte das Glas, wischte den Schaum mit der Handkante ab und trank das Bier in einem langen, gierigen Zug aus. »Ah, da sieht man die Welt doch gleich mit ganz anderen Augen«, sagte er und schenkte sich nach. »H. M. S. Pinafore. Du hast richtig gehört.«
Der Barmann nickte kurz und ging ans andere Ende der Theke, wo er sich ein Ohr mit einem Finger zuhielt, während er in ein Telefon sprach. Dante hatte seine zweite Flasche bulgarisches Bier halb leer, als eine Frau oben an der ramponierten Treppe erschien, die zu den ehemaligen Büros im oberen Stock des Gebäudes führte. Ein Matrose, der sich noch die Hose zuknöpfte, folgte ihr die Stufen hinab. Die Frau, der lange dunkle Haarsträhnen über ein von Pockennarben verunstaltetes Gesicht fielen, trug einen engen Rock, der an einem Schenkel hoch geschlitzt war, und eine hauchdünne Bluse, durch die ihre Brüste so klar und deutlich zu erkennen waren, als würde sie nackt im Morgendunst spazieren. Sämtliche Gespräche erstarben, als sie durch den Raum ging und die hohen Absätze auf den Dielen klapperten. Sie blieb stehen, sah sich kurz um, entdeckte Dante und setzte sich neben ihn an die Theke.
»Spendierst du mir einen Whiskey?«, fragte sie mit heiserer Flüsterstimme.
»Ich wäre verrückt, wenn ich’s nicht täte«, erwiderte Dante fröhlich, hob einen Finger, um den Barmann auf sich aufmerksam zu machen, und deutete auf die Frau. »Whiskey für meine zukünftige Freundin.«
»Chivas Regal«, wies sie den Barmann an. »Einen doppelten.«
Dante genehmigte den Doppelten mit einem Nicken, als der Barmann ihn fragend ansah, dann wandte er sich der Frau zu und musterte sie gründlich. Wie immer tat er sich schwer, ihr Alter einzuschätzen. Sie war Araberin, das war unübersehbar, trotz des dicken Eyeliners und des leuchtend roten Lippenstifts, und wahrscheinlich über vierzig, aber wie weit, konnte er nicht sagen. Ihm kam der Gedanke, dass sie Christin sein musste, da Muslime ihre Frauen eher umbringen würden, als sie auf den Strich gehen zu lassen.
»Und wie ist dein Name, Schätzchen?«, fragte Dante.
Sie fuhr sich mit den Fingern einer Hand geistesabwesend durch die Haare und strich sie sich aus dem Gesicht. Zwei große silberne Ohrringe schimmerten im Licht. »Ich heiße Djamillha«, sagte sie. »Und wie heißt du?«
Dante nahm einen großen Schluck Bier. »Du kannst mich den Iren nennen.«
»Anscheinend warst du lange auf See.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Du musst ja schrecklichen Durst haben, so wie du dieses widerliche bulgarische Bier in dich hineinschüttest. Und wahrscheinlich nicht nur Durst, was, Ire?«
Dante warf einen Blick auf den Barmann, der knapp außer Hörweite Gläser spülte. »Na ja, Djamillha, um dir die traurige Wahrheit zu sagen, ich hatte schon seit einer Ewigkeit keine Frau mehr. Hast du vielleicht eine Idee, wie sich dieser Missstand beheben ließe?«
Der portugiesische
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