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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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und dem Abendessen. Es wäre klug, wenn Sie sich nicht blicken lassen. Ich habe ihn nämlich nicht über Ihre Anwesenheit unterrichtet, und die Syrer sehen es nicht gern, wenn Ausländer sich hier im Tal aufhalten.«
    »Wie wär’s, wenn ich in Richtung Beirut verschwinde?«, fragte Dante. »Ich bin schon fast drei Wochen hier. Da morgen Freitag ist und meine Schüler zum Gebet in die Moschee gehen, wollte ich ohnehin um einen freien Tag bitten.«
    »Und wie wollen Sie Ihren freien Tag verbringen?«
    »Soweit ich zurückdenken kann, hab ich es noch nie so lange ohne Bier ausgehalten. Ich werde mir eine hübsche Kneipe suchen und mir einen hinter die Binde gießen.«
    »Meinetwegen. In Beirut ist es ruhig geworden. Und Sie haben sich einen Tag zum Ausspannen verdient. Ich gebe Ihnen Abdullah und einen meiner Leibwächter mit, damit Ihnen nichts passiert.«
    »In einem Tabernakel mit Alkoholausschank kann ein Ire gut auf sich selbst aufpassen, Dr. al-Karim.«
    »Mag sein. Aber solange Sie Ihre Arbeit hier nicht erledigt haben, gehe ich lieber auf Nummer Sicher. Danach können Sie tun und lassen, was Sie wollen.«
    Am folgenden Nachmittag schlängelte sich der zerbeulte Ford, der Dante drei Wochen zuvor ins Bekaa-Tal gebracht hatte, über ein Gewirr von Nebenstraßen in Richtung Beirut. Der Leibwächter, in weiter Khakihose, im Arm eine Kalaschnikow mit Kerben im Schaft für alle, die er ins Jenseits befördert hatte, plapperte vorn auf Arabisch mit dem Fahrer, einem kohlrabenschwarzen Saudi mit verfilzten Dreadlocks. Dante, der nach Beduinenart einen groben, braunen Burnus trug, eine schwarz-weiß karierte Kefije und eine dunkle Sonnenbrille, saß im Fond mit Abdullah. Der stieg an jedem syrischen Checkpoint aus und hielt den Soldaten, die (wie Abdullah schwor) weder lesen noch schreiben konnten, gebieterisch einen Brief vor die Nase, auf dem Dr. al-Karims Siegel und Unterschrift prangten. Dante starrte gedankenverloren durch sein Spiegelbild in der Scheibe und nahm kaum die staubigen Dörfer wahr, wo Horden barfüßiger Jungs auf ungepflasterten Straßen Fußball spielten, die überfüllten Souks, wo auf einer Seite riesige Satellitenschüsseln angeboten wurden und an einem Zaun in der Nähe Esel und Kamele angebunden waren, die gekachelten Metzgerläden, wo junge Mädchen die Fliegen von den an Haken aufgehängten Tierkadavern verscheuchten. Am Rande von Beirut passierte der Ford die erste Milizsperre, doch die bewaffneten jungen Männer, die dort postiert waren, konnten zwar lesen, interessierten sich aber (wie Abdullah stockend erklärte) mehr für die Zwanzigdollarscheine, die Abdullah in Dr. al-Karims Brief gesteckt hatte, als für den Brief selbst oder die Passagiere im Wagen.
    Die Anwesenheit der syrischen Armee hatte die feindlichen Splittergruppen, die sich seit Mitte der siebziger Jahre auf den Straßen Beiruts gegenseitig abschlachteten, mehr oder weniger in der Versenkung verschwinden lassen. Man munkelte, dass muslimische und christliche Abgesandte im saudi-arabischen Taif zusammenkamen, um einen Waffenstillstand auszuhandeln, doch nach wie vor patrouillierten bewaffnete Milizen in der Stadt, die sich wie eine verstümmelte Amazone am Rande des Mittelmeeres ausbreitete und deren zerschossene Gebäude stummes Zeugnis von fünfzehn Jahren brutalem Bürgerkrieg ablegten. Als die Sonne im Meer versank und Beirut in Dunkelheit getaucht wurde, hallte das Knattern von fernem Maschinengewehrfeuer durch die Stadt. Abdullah, der sichtlich nervös war, murmelte etwas von alten Rechnungen, die erst noch beglichen werden müssten, ehe der Waffenstillstand in Kraft treten könne. Damit sie auch ja nicht aus Versehen die muslimisch kontrollierten Stadtteile verließen, dirigierte er den Fahrer ins Hafenviertel und setzte Dante an einer Ecke gegenüber der ausgebrannten Ruine einer Moschee ab. Eine schmale Straße führte bergab zu den Docks. »Wir warten hier«, sagte Abdullah zu Dante. »Bitte seien Sie spätestens um zehn wieder da, damit wir es bis Mitternacht zurück ins Lager schaffen.«
    Auf der kleinen Straße surrten defekte Neonlampen über einer Hand voll Seemannskneipen. Dante winkte seinen Aufpassern fröhlich zu und schlenderte den Bürgersteig hinunter bis zu der ersten Kneipe, die in dem Gebäude einer Handelsfirma untergebracht war, in dessen Mitte eine Granate eingeschlagen hatte. Er zog den Kopf ein, um sich nicht an einer kaputten Neonröhre zu stoßen, die nur noch an ihrem Kabel baumelte, und

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